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Ostruschnjak1Solo für Abstand. Ein Tänzer – fast wieder zum Greifen nah und physisch mit dem Publikum am Aufführungsort zu einer Einheit auf Zeit verbunden. Genau das macht Theater als Erlebnis aus. Seit Monaten ist aber alles anders. Dennoch hat die künstlerische Aufarbeitung des Corona-Shutdowns bereits begonnen, wenn sich wenige mundschutzmaskiere Zuschauer als rezipierender Teil von Lockerungsformaten und Inszenierungen an sonst Gästen unzugänglichen Orten einfinden.

Ein Pflaster, auf dem Perfomance-Kunst tolle Blüten treiben kann. Unter Ausnahmebedingungen, augenzwinkernd drastisch und sich dabei der brisanten aktuellen Lage bewusst, die Moritz Ostruschnjaks Uraufführung „Tanzanweisungen“ auch für Besucher physisch fühlbar macht. Seit Beginn des Theaterstillstands sammelt die Bayerische Staatsoper Spenden für freischaffende Künstler. Nun – am ersten „Freien Sonntag“ – sitzt man höchstpersönlich am Austragungsort der bisher bloß digital ausgestrahlten Montagskonzerte. Vor sich spürt man – mitten unterm Bühnenhimmel des formatrührigen Bühnenflaggschiffs – die Ausmaße des verwaisten Zuschauerraums.Ostruschnjak2

Eingetaucht in das leise Sirren von Technik und Beleuchtungsmaschinerie schimmern einem von den anfangs noch in Dunkelheit gehüllten Rängen die Fluchtwegleuchten wie winzige, weit entfernte Sterne entgegen. Dumpf läuten die gewohnten Klingelzeichen den Beginn der Vorstellung ein. Im Blickfeld zwischen prunkvollem Sesselpanorama und sechs Stuhlreihen für je neun Zuschauer erhebt sich ein Podest: vier mal acht Meter. Das Plateau von Neonröhren umgrenzt. Für 30 derzeit abendfüllende Minuten der allein einem Interpreten zugewiesene Raum.

Ostruschnjak4Als erster freier Gast nahm der Münchner Choreograf Moritz Ostruschnjak es laut eigener Aussage locker, innerhalb einer Woche ein inhaltlich pandemieinspiriertes Solo auf die Beine zu stellen. An die choreografische Verlinkung zu den cartoonhaften Zeichnungen des schottischen Künstlers David Shrigley hatte er aber schon vor der Einladung gedacht. Auch wegen Daniel Conant, den man – einmal in Bewegung – am ehesten mit einer Granate vergleichen kann.Ostruschnjak5

Klein und zierlich von Statur lässt der Kanadier, der für das Projekt eigens aus Berlin angereist ist, die Post richtig abgehen. Sein Körper zündet wie Dynamit in einem stilistischen Cross-Over geballter Sportivität. Die goldene Fassung der im Licht leuchtenden Stuckverzierungen an den Logen vermag nichts besser konterkarieren als diese Verpackung in weiße Socken, Turnschuhe, knielange rote Sporthose, graues Käppi und ein schlabberig-gelbes Shirt.

Flankiert von zwei Scheinwerfern, die unsere Augen kurz blenden, betritt er die Tanzfläche und legt los – erst mal im Schuhplattler-Modus. Ganz ohne Sound. Sein Beinklatschen, Aufstampfen, Trippeln und Atmen geben den Rhythmus vor und machen Laute zuhauf. Je intensiver Conant hüpft und springt, desto merklicher überträgt sich sein Tun in Schwingungen, die Podest- und Bühnenboden in wahrnehmbaren Wellen aufs Publikum übertragen.

Ostruschnjak3Was man sieht, ist ein Feuerwerk aus Steps, Turns und Kicks. Ein Schild wird vom Choreografen vorbeigetragen. Die Message darauf lautet: „I wan’t be like this forever“. Dennoch geht der wilde Tanz weiter – mal aufputscht, mal eingefallen zerknirscht. Boxende Arme, signalhafte Finger, sexy Hüften und Faustschläge gegen Herz und Stirn. Dazwischen immer wieder grazil ballettöse Einsprengsel. Schmusekursmomente für die Location.

Zur Halbzeit dann untermalt doch noch Musik den schweißtreibenden, Selbstmitleid nicht ausklammernden Trott. Performer – stets in seiner Rolle als dahinskizzierte Figur – und Publikum werden emotional weichgespült. Und „Hello darkness, my old friend“ von Simon & Garfunkel bekommt plötzlich einen verdrehten Sinn. Einige Minuten Durchschnaufpause gönnt sich Conant lässig abhängend über dem Satz, dass wir bald über all das gar nicht mehr nachdenken werden. Im Augenblick nichts, was wirklich beruhigt. Also knallt kurz noch Strawinskys „Sacre“ aus den Boxen.Ostruschnjak6

Unverschämter, genialer Rausschmeißer: „Der Mussolini“-Song von DAF. Harmlos der Textanfang „Geh‘ in die Knie/Und klatsch‘ in die Hände/Beweg’ deine Hüften“. Eine Aufforderung, die dem Bewegungsvokabular des Tänzers als Kommunikationsinstrument nochmals eine neue Wendung verleiht. Grenzenlose Beinfreiheit genießen hier alle. Sogar die Arme könnte man problemlos in alle Richtungen mitschwingen lassen. Tut aber niemand. Nur Daniel Conant verausgabt sich weiter. Wie ein Mensch gewordener Gummiball mit ab und zu schlaffer Schlagseite. Egal, ob er Energie durch imaginiertes Seilhüpfen oder Gewehrsalvenabfeuern verbrennt. Ein Gelegenheitsstück, aber keinesfalls Kompromisstheater!

Moritz Ostruschnjak „Tanzanweisungen“ auf der Bühne des Nationaltheaters München in der Reihe „Freier Sonntag I“ am 7. Juni 2020 (UA)

 

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