Marlene Monteiro Freitas zeigt im Rahmen der Wiener Festwochen Reframed ihre neue Produktion “Mal – Embriaguez Divina“, die im August im Kampnagl Hamburg ihre Uraufführung hatte. Es geht laut Titel um die göttliche Trunkenheit des Bösen, doch die war in diesen sorgfältig inszenierten Choreografie nicht erkennbar. Auch diesmal hinterließ die kapverdische Künstlerin beim Publikum einen durchaus zwiespältigen Eindruck.
Keine Frage, Marlene Monteiro Freitas beherrscht ihr Handwerk, wenn es um rhythmische Gruppenchoreografien geht. Da ist sie präzise bis zur kleinsten Geste und baut sie in dem ihrem Bewegungsvokabular zugrunde liegende Staccato-Modus sukzessive auf. Etwa in einer Szene, in der das Ensemble zur Schlussmusik aus „Schwanensee“ Applaus spendet. In dieser und weiteren Szenen, die einer stringente Rhythmik folgen entstehen starke, einprägsame Bilder. Doch in dem beinahe zweistündigen Spektakel verlieren sie ihre Wirkung. Während die Musikauswahl einzelne Bühnenaktionen sehr effektiv unterstützt, hapert es nämlich bei der Dramaturgie des Abends.
Denn wenn es um das Ganze geht, dann bleibt man bei “Mal – Embriaguez Divina“ ratlos zurück. Zuerst einmal die Themenverfehlung: Bei diesen sauber inszenierten Ordnungen, die sich hauptsächlich in einem dreiteiligen Stufenaufbau abspielen, geht es um Disziplinierung, manchmal auch Unterdrückung, vielleicht um gesellschaftlichen Zwang. Göttliche Intoxikation sehe ich auch dann nicht, wenn offensichtlich eine kirchliche Gemeinschaft verkörpert wird. Die Raumanordnung kann aber auch einmal ein Tribunal, vielleicht Parlament, eine Schule oder eine Militäranordnung sein. Dann erinnern die abgehackten, wie fremd bestimmt handelnden Personen an Kurt Jooss‘ „Der grüne Tisch“ ohne freilich jene emotionale Ebene einzubinden, die diesem Antikriegsstück innewohnt.
Und nachdem man nirgendwo andocken kann, wird das Stück auch bald uninteressant. Besonders die erste Stunde schafft wenige Highlights – die großartige Ausnahme der Tanz der beinlosen Tänzerin Mariana Tembe. Ansonsten gibt es viel Gesichter Schneiden – bemerkenswert, wie Betty Tchomanga durchgehen die Augen so weit aufsperren kann ohne scheinbar zu blinken –, Ansprachen mit absurden Lautmalereien, die an öffentliche Figuren erinnern, aber sehr allgemein bleiben. Und viel Papier, mit dem lange und immer wieder gebastelt, das aufgelegt oder im Raum verstreut wird. Die „dyonisische Ekstase“, die der Titel impliziert, kann diese Papierschlacht jedenfalls nicht vermitteln. Bunt und laut reicht dafür nicht.
Vielleicht hat sich Monteiro Freitag zu intensiv mit dem Schriftsteller und Philosophen George Batailles beschäftigt und dabei die Bühneninszenierung aus den Augen verloren. Eine großzügige Kürzung des Materials hätte wohl geholfen, um den Unterhaltungswerk dieses Tanztheaters des Surrealen zu steigern und das Publikum bei der Stange zu halten.
Marlene Monteiro Freitas: “Mal – Embriaguez Divina“ am 3. September im MQ, Halle E im Rahmen von Wiener Festwochen reframed. Weitere Vorstellungen am 4., 5. und 6. September