Der New Yorker Choreograf und Tänzer Trajal Harrell, seit 2019 Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich, ist seit 2008 als danceWEB Mentor, Workshop-Leiter, Performer und mit vielen seiner Choreografien regelmäßiger Gast des ImPulsTanz-Festivals. 2021 stellt er zwei höchst unterschiedliche Arbeiten vor: Das Gruppen-Stück „Maggie The Cat“ und sein Solo „Dancer of the Year“.
„Maggie The Cat“
„Die Katze auf dem heißen Blechdach“, Tennessee Williams' 1955 uraufgeführtes Theaterstück, 1958 gleichnamig verfilmt und sechsfach Oskar-nominiert, gab dem New Yorker Trajal Harrell den Stoff für sein Stück „Maggie The Cat“. Was in der Vorlage noch zentrales Thema war, die reiche weiße Oberschicht der amerikanischen Südstaaten in der Krise, rahmt nur noch die hier in den Fokus gerückte Dienerschaft.
Die Bühne wird zum Laufsteg. Die elf Performer*innen, bunt gemischt in Hautfarbe und Alter, präsentieren die hinten drapierten bunten Kissen und Decken mit das übliche Catwalk-Gestelze persiflierendem Eifer. Die Musik dazu, Pop bis Jazz der letzten Jahrzehnte, bricht manchmal, überlagert sich. Eine Frau singt live, rapt, stammelt vorn „Maggie on the hot ...“. Und Trajal Harrell tanzt vorn im bunten Kleid. Mit seinen afrikanischen Wurzeln würzt er das Zeitgenössische. Sie nähern sich, dringen ein. Einer zerbeißt einen Nylon-Strumpf. Kleidungsstücke werden vorgezeigt. Als ob sie ihre Schränke plündern. Und sie haben Spaß dabei. Bald erobern sie das Bad, weiße Handtücher auf den Köpfen, Bruce Springsteens „Please don't stop me“ klingt aus den Boxen, es wird erotisch, lasziv. Dann das Schlafzimmer. Sie wickeln sich in Bettdecken und Laken. In Kissen gebunden wird einer zum Sofa.
Im Rahmen seiner Trilogie „Porca Miseria“ („O Medea“, Uraufführung Mai 2019 in Athen, „Maggie the Cat“, Juli 2019 Manchester und „The Deathbed of Katherine Dunham“, März 2020 Zürich), in der Trajal Harrell drei Frauen im Spannungsfeld zwischen Rolle und Selbstbehauptung betrachtet, führt uns Harrell hier auf humorvoll-witzige Weise in eine Welt von vielfältig Diskriminierten, nicht nur wegen einer, anders als im Theaterstück, im Film völlig ausgeblendeten Homosexualität, auch wegen ihrer Herkunft und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Unterschicht. Gleichnishaft wird der Kampf der von Neid und Habgier zerfressen Maggie, deren Dekadenz das Stück beschattet, um die Liebe und Anerkennung ihres Mannes Brick. In Williams' Theaterstück, das den in der amerikanischen Gesellschaft tief verwurzelten rassistischen Un-Geist ganz nebenbei beatmet, gleichermaßen missachtet gibt Harrell den „Servants“ in „Maggie the Cat“ Hauptrollen. Und er gibt seinen Figuren Würde und Stolz.
Vom Äußeren ins Innere, von der Distanz ins Intime voguen und tanzen sie die knappe Stunde. Bitternis lauert in diesem Spiel. Bis sich die allesamt umwerfend Agierenden am Ende einzeln vom begeisterten Publikum verabschieden, sich Maggies „kleines Schwarzes“ weiterreichend. Weil wir wohl alle ein wenig Maggie sind. Und Trajal Harrell singt „Please don't stop me! Miau.“
„Dancer of the Year“
Das erste, was er tut, nachdem er die spartanisch ausgestattete Bühne betritt, ist, die Maske vor seinem Gesicht abzulegen. Hier, auf der Bühne für „Dancer of the Year“, demaskiert er nicht nur sich selbst. Trajal Harrell macht aus seinem Solo „Dancer of the Year“, das als Reaktion auf die Wahl der Berliner Zeitschrift tanz zum „Tänzer des Jahres 2018“ entstand, ein tief gehendes Tanz-Ereignis.
Zu Beginn wirft er drei Shirts ins Publikum. Das Wiener Odeon als Marktplatz. Und die Selbstvermarktung als unvermeidlicher Bestandteil eines jeden künstlerischen Schaffensprozesses. Kunstbetrieb.
Wie einen multi-metaphorischen Rahmen setzt Harrell das Erbe des japanischen Tänzers und Choreografen Tatsumi Hijikata (1928-1986), dem Begründer des Tanz-Genres Butoh, das er ab den späten 60ern zu entwickeln begann. Dessen in seinen Tanz hineinwirkende Studien von Jazz, Flamenco und deutschem Ausdruckstanz transformiert Harrell in Instrumente kultureller Aneignungen. Mit einer Reihe von Zitaten diverser Tanz-Stile und -Formen, oft nur in zarten Andeutungen eingeflochten, vereint er Orient und Okzident, Geschichte und Gegenwart in seiner Performance. Ob ferner Osten, Indien, Iran, spanischer Flamenco, modern und postmodern dance, Voguing und Posing, alles blitzt kurz einmal auf, alles mischt und befruchtet sich. Bunte Röcke, Socken und Schläppchen wechselt er wie die wundervollen Musikstücke am Notebook und seinen Gestus, von gefühlvoll, fast beschwörend über taumelnde Erschöpfung und religiöse Trance bis verzweifelt, den Himmel doch nicht erreichend. Der „Tanz der Dunkelheit“ jedoch wirft sich wie ein Teppich unter die Füße des Tänzers, der auf jenem ungeahnt viel Schmerz und Leid offenbart.
Seine Selbstzweifel, den Druck, den eine Auszeichnung und die mit ihr übergebene imaginierte Liste mit Erwartungen des Außen mit sich bringt sowie die inneren Konflikte zwischen Entsprechung und Freiheit, er sendet Schüsse und Küsse in sein hassgeliebtes Publikum, lässt er unverhüllt spüren. Und dann die Käfer, die den Tänzer von innen heraus zerfraßen und, aufgestiegen in den Mund und voller Ekel hin und her gewendet, in Küsse verwandelt schickt er sie ins Auditorium. So wie sein Herz, das er sich aus dem Leib gerissen.
Die letzte der getanzten Sequenzen kündigt Trajal Harrell mit Worten an. Zu einem seiner, sehr komplizierten, Lieblings-Musikstücke will er sein Bestes versuchen. Ein Auszug aus Keith Jarretts „Köln Concert“. Unter diesem Titel entstand auch eine im September 2020 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführte Gruppen-Arbeit.
Er zieht sich nur um, nicht aus. Aber er entblößt sich. Er legt uns auf so poetische Weise seine nackte Seele vor die Füße, lässt uns spüren, wie viel Kraft es ihn kostet, mit diesen Qualen zu leben und zu arbeiten. Sein offenbartes seelisches Leid, sein am Ende so deutlich sichtbares emotionales Engagement, er gibt sich ganz, und vor allem seine Ehrlichkeit berühren ungemein.
Trajal Harrell: „Maggie The Cat am 16. Juli 2021 im Akademietheater, „Dancer oft he Year“ am 19. Juli 2021 im Odeon im Rahmen von ImPulsTanz