Das Internationale Festival für Straßenkunst, Figurentheater, neuen Zirkus und Community Art eröffnete mit zwei Hinguckern und Hinhörern; mit zwei Produktionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, allerdings etwas gemeinsam haben: ihre Außergewöhnlichkeit und, dass sie „jeden“ in ihren Bann ziehen – auf unvergessliche Art, wenn wohl auch in individueller Rezeptionsweise.
Letzteres gilt insbesondere für das, was der aus einer französisch-italienischen Künstlerfamilie stammende Anarcho-Clown und Showman, satirisch-aktionistischer Polterer und kaum zu entmutigende Aufbegehrer Leo Bassi (vor 20 Jahren war er erstmals in Graz), in seiner Soloperformance „Me! Mussolini“ auf die Bühne knallt.
Er betritt den Raum, hebt den Arm – und ein Großteil des Publikums klatscht. Einfacher und deutlicher warnend ist abschreckende Macht der Verführungskunst kaum darstellbar. Freilich ist seine darstellerische Palette eine noch erheblich erweiterbare – da ist für fast jeden was dabei. Dass ihm Humor als wichtigste Waffe gilt gegen den von ihm in diesem Programm differenziert angeprangerten Faschismus, wird nicht nur verbalisiert, sondern ist der rote Faden seines performativen Kunterbunts. Ein wohldurchdacht und zum Teil auch feinfühlig gelegter. Aber dazwischen regiert der Wort-Hammer und die Faust in die Magengrube, wenn er seine Art eines ausschweifenden und damit ziemlich handfest wie aber auch komplexen Geschichtsunterrichts zum Besten gibt – alle hören gebannt zu: Betroffen und mit steigendem Puls bei der Präsentation dieser nackten Realitäten (die durch ebenso unbarmherzige Videoprojektionen unterstrichen werden), mit dem einen und anderen Aha-Erlebnis (hoffentlich), wenn er unbarmherzig Parallelen zum Rechtspopulismus der Gegenwart zieht.
Die Absurditäten einzelner seiner Szenen decken sich erschreckend mit realen Absurditäten aus näherer Vergangenheit und Gegenwart; nicht zuletzt mit ihren unbegreiflichen Wiederholungen. Aber, so zitiert er eine Lebenseinstellung, Demokratie sei langweilig und „we want to have fun“.
Ob die inhaltliche und formale Konsequenz seines Auftritts, tatsächlich auch der ins Publikum geworfenen Eier bedarf, darüber lässt sich trefflich streiten. Stimmig vor- und auf bereitet als Golfbälle Trumps (mitgeliefert die ureigenen Volltreffer ins Loch) sind sie allemal.
Ob er, der Clown, der sich als „angel of imperfections“ definiert und vom „inventing impossible things“ tiefernst und nahezu philosophierend träumt und erzählt, sich zur Gaudi des Publikums mit Honig übergießen muss, um derart, dank darüber gekippter und also am Körper festklebender Federn zum Fliegen anzusetzen, also zur Verwirklichung seiner Wünsche – bleibt offen. Nach standing ovations am Ende des Abends zu schließen, öffnet er damit jedenfalls erfolgreich nicht nur Augen und Ohren, sondern auch so manchen Kopf für das, was er weitgehend respektlos und damit umso einprägsamer vermitteln will.
Rhizome
Einer gänzlich anderen Sprache bedient sich die französische Choreografin, Akrobatin und Gründerin der Compagnie „Rhizome“ Chloé Moglia. Ihr ‚Werkzeug‘ in der im Grazer Stadtpark gezeigten Produktion „La Spire“ ist eine 7 Meter hohe und 18 Meter lange, dreifach kreisförmig geschwungene Stahlkonstruktion. Die „Sprachvermittler“ sind 5 Frauen, die mittels ihrer sensibel durchtrainierten Körper und ihrer außergewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit in dieser ‚Installation von Bewegung‘ „Die Zeit existieren lassen. Keine Angst haben. In die Ferne schauen“, wie es Moglia im Untertitel formuliert.
Begleitet, getragen, motiviert und geradezu provoziert – wie es auch manchmal scheint – vom elektronischen Klanggeflecht der Musikerin Marielle Chatain.
Katzengleich langsam tastend und pantherartig ruhig bewegen sich die Luft-Akrobatinnen geschmeidig rund um das und auf dem Gestänge „über den Himmel“. Einzeln, zu zweit, zu dritt tanzen sie in Zeitlupe. Auch Spielerisch-Neckisches darf sein sowie ein geradezu poetischer Pas de deux gegen Ende.
Dominant ist die faszinierende Ästhetik von Langsamkeit; mit Lust beherrscht und gekonnter Freude ausgeführt – federleicht und scheinbar ohne Anstrengung. Kurzer Blickaustausch koordiniert von Zeit zu Zeit das feine Zusammenspiel; Berührungen geben Anstoß, geben Halt.
Ein visuelles Vergnügen der besonderen Art; eine Art Therapie in hektischen Event-Zeiten.
PS
Einen wunderbaren Eindruck von der künstlerischen Arbeit Chloé Moglias erhält man in einem ARTE en scène ARTE Concert-Video
La Strada Graz vom 30.Juli bis 7.August 2021: Leo Bassi: “Me! Mussolini” am 30. Juli im Orpheum Graz; Rhizom; „La Spire“ am 31. Juli im Stadtpark, Platz der Versöhnung