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WilliDorner1Die uns pandemie-induziert verordneten Lockdowns haben auch viele Kunstschaffende in eine zumindest zeitweise häusliche Isolation gezwungen. Das kann verschiedentlich wirken und genutzt werden. Nicht neue, aber dadurch verstärkte Entwicklungen wie die neben der zunehmenden Online-Präsentation von Arbeitsergebnissen vor allem grassierende Digitalisierung von Persönlichkeits-Profilen untersucht Willi Dorner in seiner Arbeit „figure“ auf ihre Ursachen und Wirkungen. 

Der Titel der hier uraufgeführten Arbeit „figure“ vereint im Englischen in einem Begriff vielerlei: Persönlichkeit, Gestalt, Zahl, Zeichen, Bild und Abbildung. Womit das Ausgangsmaterial für diese Performance mit einem Wort beschrieben sei.WilliDorner3

Sie, die Tänzerin Esther Baio, sitzt im Homeoffice, mit den orientalischen Schlapfen und den Tee schlürfend. Eine Kamera ist auf die weiße Wand hinten gerichtet, deren linker Bereich als Screen, Bildschirm, Monitor fungiert. Auf ihrem Tisch liegen Unmengen von weißen Zetteln, beschrieben mit Buchstaben, Zeichen, wenigen Worten. Willi Dorner konstruiert aus Tanz, Text, Video und Musik einen sich stetig verschärfenden Konflikt zwischen Realem und dessen projiziertem Abbild. Auf spielerische Weise stellt er den Körper der Performerin und die von ihr gezeigten, auf die Wand und den Screen geklebten Symbole, Zeichen und Worte in einen Fluss von sich wechselseitig pushenden, widersprüchlichen Beziehungen. Mit subtilem Humor und feinem Witz garniert rutscht die Tänzerin auf der Suche nach sich selbst immer tiefer in eine innere und äußere Zerrissenheit. Wer bin ich denn noch? Und dazu erklingt, zum Beispiel, ein Auszug aus der sechsten Cello-Suite von Bach. Die Polyphonie der Musik, in deren Verlauf elektronisch bis zum Chaos verfremdet, spiegelt das Visuelle im Akustischen. Die sukzessive Spaltung der Persönlichkeit, ihr Bild auf dem Screen zerlegt sich in Segmente, die sich gegeneinander verschieben, überlagern und verdecken, entwickelt sich in eine multiple Persönlichkeitsstörung, die in eine totale Auflösung zu münden scheint. So wie die zerfließenden Bilder von ihr.

WilliDorner5Die tiefe Durchdringung von komplexen Sachverhalten und die Suche nach konzentrierten performativen Präsentations-Konzepten ist Willi Dorner ein bereits in vielen seiner weltweit gezeigten Arbeiten sichtbar gemachtes Anliegen. Der auch in „figure“ wieder dominante formale Charakter seiner Ästhetik soll nicht hinwegtäuschen über eine zu Grunde liegende empathische Verbundenheit mit den Objekten/Subjekten seiner Feldforschungen. Die persönlichkeits-strukturelle und emotionale Konditionierung als ursprünglicher Ausgangspunkt einerseits und die in der virtuellen Wirklichkeit erzeugten Abbilder andererseits wirken wechselseitig aufeinander ein, bis man in eine dialektische und gefühlsmäßige Wirrnis gerät, deren Auflösung kaum mehr möglich erscheint.

Die Umsetzung von „figure“ ist bestechend. Die Komplexität der hergestellten Beziehungen, der Umgang mit den eingesetzten Werkzeugen (zeitliche, akustische und optische Verschiebungen, Drehungen und Spiegelungen werden virtuos miteinander kombiniert) und die trotzdem irgendwie bescheiden daherkommende, reduzierte Anmutung der Arbeit sind einzigartig.WilliDorner7

Nachdem Esther Baio all die Abbilder von ihr mit einem Tuch, unter dem sie gänzlich verschwindet, ins Weiß ausgelöscht hat, in das aus allen Farben, aus allen Aspekten unseres Selbst komponierte Weiß, erklingt die finale Synthese als ein langer, aus mehreren ganz leicht gegeneinander verstimmten Tönen zusammengesetzter Ein-Klang. Den also mit sich selbst zu finden ist möglich. Nicht trotz, sondern sogar mit Hilfe jener digitalisierten Abbilder seiner selbst.  

Willi Dorner: „figure“, Uraufführung am 4. August 2021 im WUK im Rahmen von ImPulsTanz.

 

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