Junge Choreografien erhalten seit 2018 ein spezielles Podium bei ImPulsTanz. Einerseits über die Möglichkeit der Präsentation von in diesem Jahr neun frühen oder Erstlingswerken, darunter Ruth Childs‘ „Fantasia“. Andererseits macht sich das Festival mit der Ausschreibung eines Förderpreises um junge Künster*innen verdient. Der Preis von 5000 Euro ging in diesem Jahr an „Fiebre“ von Tamara Alegre, Lydia Östberg Diakité, Nunu Flashdem, Marie Ursin und Célia Lutangu.
"Fiebre“ von Tamara Alegre
Die Schleimgeborenen: Tamara Alegre, Lydia Östberg Diakité, Nunu Flashdem, Marie Ursin, Célia Lutangu und Elie Autin. Drei Performerinnen rutschen im lila Schleim, suhlen sich darin, schlürfen ihn und glucksen damit, spielen lustige Rutschpartien, schieben und schleudern ihn herum, es wird auch mal erotisch, wenn sie über- und untereinander gleiten oder synchron und lasziv auf den Knien tanzen. Sie trommeln sich auf die Brüste, hocken am Ende keuchend an der Seite.
Archaisch und futuristisch zugleich erscheinen ihre vielfach durchbrochenen schwarzen Badeanzüge. Animalisch ist das Setup. In einer schleimigen Ursuppe scheinen sie zu leben, diese Wesen aus uralten Zeiten. Ihr Verhalten erinnert an Würmer und vor dem Ende auch drohende Gorillas. Dann noch die Kloake, das „Loch für vieles“ mancher Tiere, in die sie sich per Schlauch gegenseitig Flüssigkeit zu blasen scheinen, die umgehend aus dem Schritt entweicht.
„Fiebre“ hat seine Längen, die als solche nicht nur wegen der feucht-heißen Luft im kleinen Saal der mumok Hofstallung empfunden wurden. Das kompositorische Potential der Elemente Bewegung, Lichtdesign und Sound erscheint, im Interesse einer gesteigerten Wirkung der Arbeit als Ganzes, noch nicht völlig ausgeschöpft. Das am Ende durchgeschwitzte Publikum hat's nicht gestört. Im Gegenteil. Die „Handlung“ der 2018 entstandenen Arbeit jedoch, eine Entwicklung vom im Schleim einer patriarchalen Ur-Un-Suppe gefangenen weiblichen Ur-Un-Tier über Vereinigung, Erkenntnis von Opferhaltung und Kraft-Potential zur schließlich (auch sexuell) selbstermächtigten Frau, ist ein feministisches Manifest.
Ruth Childs / SCARLETT’S: „fantasia“
„fantasia“, uraufgeführt im Oktober 2019 in Genf und hier als Österreichische Erstaufführung gezeigt, ist eine sehr persönliche Arbeit. Ausgehend von Erinnerungen an klassische Musikstücke, die die britisch-amerikanische, jetzt in der Schweiz lebende Tänzerin, Choreografin und Violinistin in ihrer Kindheit hörte, nimmt uns Ruth Childs mit auf ihre Entdeckungsreise von Musik und Tanz, deren Phasen sie illustriert mit den wechselnden Farben ihrer Kostümierung.
Fliederfarben sind Shirt und Perücke für den ersten Kontakt mit Musik und ihre frühkindlichen, fast animalischen Re-Aktionen darauf. In weiß beginnt sie mit kindlicher, unbefangener Entdeckerfreude ganz süß zu spielen. Sie agiert, indem sie mit einem umgeschnallten Sender den Sound steuert. Infantile Laute und Bewegungen schalten die Musik ein. Wenn ich mich bewege, ist Musik. Ausprobieren und Versteckspiel, sehr humorvoll, führt in die Interpretation der Musik mit Bewegung. In grün wiederholt sie das Material, nach einleitendem Zittern. Und in rot. In schwarz schüttelt es sie länger vor der Wiederholung. Dann kommt der Bruch.
Durch kreischenden Sound und E-Gitarre bricht sich die klassische Musik langsam wieder frei. Ihre Konfusion, ihr Kampf mit den Dämonen münden in ein diagonales Auf und Ab. Im Kurzfilm „Katema“ von 1978, von Ruth in ihrem ersten bei ImPulsTanz vorgestellten Stück, einem fünfteiligen Reanactment früher Werke ihrer Tante, der großen Lucinda Childs, gezeigt, erforscht diese die Möglichkeiten von Bewegungsmaterial mit subtilen Variationen. So hier auch die Nichte.
Nun ohne Perücke, sich immer wieder aufraffend zu einem neuen Versuch, zwischen Freude und Anspannung wechseln die Gefühle, variiert sie im diagonalen Licht ihre Schrittfolgen, Drehungen, Sprünge und Kreise. Die Entdeckung einer Methode zur systematischen Erkundung von choreografischem Material. Deren Adaption für ihre eigenen Zwecke weist in die Zukunft dieser wunderbaren Tänzerin, auch mit ihren schauspielerischen und komödiantischen Talenten.
Tamara Alegre: „Fiebre“ am 11. August 2021 in der mumok Hofstallung im Rahmen; Ruth Childs / SCARLETT’S: „fantasia“ am 14. August 2021 im Wiener Schauspielhaus im Rahmen von ImPulsTanz