Was ist das Unmögliche und wie verhält es sich zum Möglichen, zur Wirklichkeit? Welche Bedeutung, welchen Wert kann man ihm beimessen? Und wie könnte sich eine performative Auseinandersetzung mit diesen Fragen gestalten lassen? Die Wienerin Saskia Hölbling mit ihrer Kompanie DANS.KIAS und der Philosoph Arno Böhler sprengen in ihrer hier uraufgeführten Arbeit „Inhabit the Impossible“ die Grenzen von Kunst, Philosophie, Physik, Mythologie und Science-Fiction und verbinden sie zu einer anspruchsvollen, dichten Cross-Disciplinary Field Performance. Mit ihrer im Anschluss gezeigten Performance „Black Hole“ krönt die indische Performance-Künstlerin Jyoti Dogra das insgesamt dreiteilige Event.
Der sich über mehr als ein Jahr lang erstreckende Austausch zwischen der künstlerischen Leiterin Saskia Hölbling, Choreografin und Tänzerin, dem wissenschaftlichen Leiter Arno Böhler, den TänzerInnen Ardan Hussain und Leonie Wahl, der Medienkünstlerin Evi Jägle, der Quantenphysikerin Tanja Traxler, dem Videokünstler Kay Walkowiak und dem Musiker und Komponisten Heinz Ditsch mit dem Ziel, „die Möglichkeiten des Unmöglichen“ zu erforschen, mündete in eine multidisziplinäre Arbeit, in der sich alle Beteiligten, von ihren künstlerischen respektive Forschungs-Arealen ausgehend, auf einem gemeinsamen Bühnen-Feld begegnen.
Vorangestellt war dieser Premiere ein sieben Tage zuvor stattfindender, fast dreistündiger offener Workshop mit den Philosophie-DoktorandInnen Michael Boch, Elke Pichler und Mira Magdalena Sickinger von der Vienna Doctoral School an der Universität Wien. Philosophische, literarische und poetische Texte, die Fundamente des indischen Yoga, diskursiv-performative Partizipation des Publikums – die entstandenen Ergebnisse vermochten zu überraschen - und ein Tanzstück der indischen Tänzerin und Philosophin Janhavi Dhamankar in einer Licht- und Rauminstallation von Elisabeth Wildling, das dem westlichen Denken in Polaritäten die östliche Alternative des Sowohl-als-auch gegenüberstellte, verschränkten Geisteswissenschaft und Kunst, Intellekt, körperliche und sinnliche Erfahrung. Als voraussetzungslos dem Publikum offeriert erwies sich der Workshop, als eigenständiges Format durchaus wert- und sinnvoll, doch als ein, in seinen theoretischen Teilen, dem philosophisch Vorgebildeten und Aktiven angedientes. Als Kontrapunkt zur Freude am Denken die Tanzperformance als kluge, die Polarität überwindende physische Reflexion.
Die Performance „Inhabit the Impossible“ bespielte die große runde Bühne (von Marco Tölzer), in drei von drei Leinwänden verbundenen Fraktionen vom Publikum umsessen und mit kreisrunder Lehmfläche und flach bewässertem Oval die ZuschauerInnen in die Aktionen auf dieser (Bühnen-) Erde und in die Mitverantwortung für sie hineinziehend, als spartenspezifisches und -durchdringendes Experimentierfeld zugleich.
Und wie tanzt man das Unmögliche, das partiell zu Möglichem, zu Wirklichkeit wird und damit wieder neue Möglichkeiten generiert? Die Teilchen-Fluktuation im Vakuum (aus der darin vorhandenen Energie entstehen für kürzeste Zeiteinheiten Materie-Teilchen, die sofort wieder zerfallen) wird zu einem Fluktuieren von Gedankensplittern, das, in die Bewegung hinein geäußert, mit seiner Unmittelbarkeit und Zusammenhanglosigkeit jenes physikalische Prinzip widerspiegelt. Ebenso der Tanz. Sie formen allein, zu zweit, zu dritt Skulpturen, die, kurz innehaltend im Fluss der Bewegung, Entstehen und Vergehen von Körperlichkeit in physischen Energiefeldern beschreiben.
Die Verschränkung von Teilchen, die über unlimitierte Entfernungen im Universum und ohne Zeitdifferenz (die Frage, ob die Lichtgeschwindigkeit tatsächlich die maximal Mögliche ist, wird dadurch dringlich aufgeworfen) kommunikativ miteinander verbunden bleiben, wird zur Verschränkung von Körpern, die sich gegenseitig durchdringen, ohne sich zu berühren. In ihren Graumännern scheinen sie auf dem Tisch den von der Physikerin beobachteten Vorgang von Verschränkungen, die Suche nach einer Möglichkeit der Bindung nachzustellen.
Video-Animationen und Foto-Arbeiten von Kay Walkowiak, die die Performance auf den drei Leinwänden begleiteten, zeigten Welten aus animierten Planetenmodellen, mystische Orte der Natur, Fragmente menschlicher Zivilisation oder der Fantasie entsprungene virtuelle Realitäten. Die Fotos, zentral gespiegelte Aufnahmen unwirklicher Realitäten, schienen wie Paare verschränkter Teilchen, die mit gegensätzlichem Spin ihre fortan getrennten Bahnen ziehen wollen.
Ob mit pulsierendem dunklen Dröhnen oder kreischenden Bläsern, quietschenden Streichern in dissonantem Staccato oder hellen Zimbals, die Bandbreite der Klänge von Heinz Ditsch zwischen elektronischem Sound und akustischer Musik steht für die Bandbreite der Themen des Stückes und begleitet die Performenden wie das Lichtdesign von Reto Schubiger – von partiellen Aufheiterungen abgesehen großenteils bedeckt.
Humorig geht Arno Böhler ans Werk. Seine aus einer der Papp-Röhren und übergestülpter multifunktionaler Metall-Spirale erzeugte „Wirbel-Säule“ steht für sein Bemühen, die Schwere und Ernsthaftigkeit der Thematik mit spielerischer Attitüde aufzuweichen. Mitgeliefert in diesem Bild der Hinweis auf die Fülle von Metaphern in diesem Stück.
Was sie sonst zur Sprache bringen (Saskia Hölbling zeigt sich nebenher auch als beachtenswerte Poetin), fordert neben beständiger Aufmerksamkeit ein Grundlagenwissen um philosophische und physikalische Erkenntnisse. Damit ausgerüstet finden die immense gedankliche Bandbreite und Dichte, die Poesie der sprachlichen wie physischen Bilder und der dramaturgische Witz seine Destination in den Hirnen und Herzen. Reflexionen über das Wesen der Zeit, Duplizität und chronische Wiederholungen, über die Kunst als einen Ort für das Unmögliche, über Schönheit, den Teufel und den Tod, über das Unvollständige, Unvollkommene jedes Abbildes der Wirklichkeit, über das Oben und Unten des Meister Eckhart, über Nitzsches Zarathustra und Spinosas Immanenz ohne Transzendenz und seine damit philosophisch vorweggenommenen physikalischen Erkenntnisse, über das und die Falten des Raumes, über Schrödingers Katze in ihrem Überlagerungszustand von Leben und Tod und dessen quantenphysikalische Realität ...
Und sie sparen nicht mit Kritik. In Plastik gekleidet im ovalen Meer, der Mensch am Ende aller Nahrungsketten, als selbstherrliche Krone der Schöpfung und Beherrscher der Natur und als doch nur deren Zerstörer. Bild auch für das Sägen am Ast, das Abweisen der nährenden Hand. Sie stellen die kurzsichtige Dummheit aus, die Rücksichtslosigkeit gegen die Umwelt und sich selbst. Von der Gier genährt.
Wie ein hoch oben thronender Herrscher steht der Mann auf einer Leiter, mit Nylonstrumpf-verhängtem, trieb-getrübtem Blick, an langen Papp-Röhren zwei Frauen dirigierend. Die ihn gleichzeitig stützen. Mythologien (wenigstens die okzidentalen) und die mächtigen Figuren in ihnen sind vorrangig männlich dominiert. Das Unmögliche des Patriarchats hat sich ein- und festgeschrieben in Geschichten und Geschichte.
Was der Mensch hat entstehen lassen? Was er aus der Fülle an Möglichkeiten in die Wirklichkeit gehoben hat? Kapitalismus, Wegwerfgesellschaft, Verschwendung an Ressourcen, Ausbeutung seines Gleichen und des Planeten. Der Weg hinaus? „Der Wolf verneigt sich vor dem Schaf.“ Und: „Khronos ermüdet ...“
Fluktuation von Gedanken, Gesten, körperlichen Zuständen, räumlichen Beziehungen, Möglichkeiten und Wirklichkeiten. Im Größeren betrachtet, durch das raumzeitliche Fernrohr, fluktuieren auch Leben in eine ewige mögliche Wirklichkeit, wiederholen in Variationen ihr eigenes Sein, fluktuieren Zeitalter und bilden so im Großen jene chronisch-chronologische Wiederkehr ab, machen, je nachdem wie man den Zeiten-Zoom justiert, das Unmögliche möglich. Und vielleicht auch umgekehrt.
Im Anschluss an die letzten drei der fünf Vorstellungen von „Inhabit the Impossible“ zeigte die indische Performance-Künstlerin Jyoti Dogra, die auf Einladung von Arno Böhler und Susanne Valerie Granzer aus ihrem Heimatort Mumbai für die Präsentation anreiste, ihre Arbeit „Black Hole“. Sie entwickelt in den 90 Minuten ein Stück über das Sterben (einer krebskranken Frau). Sie spielt in beeindruckender Authentizität und Dynamik Gedanken- und Gefühlswelten (mehrfach weint sie echte Tränen), sie findet in den Singularitäten in Schwarzen Löchern und in uns überraschende, in einer Verschränkung aus physikalischen Erkenntnissen und psychologisch-spirituellem Tiefenwissen Parallelitäten, die sie in ungemein kluger Poesie und tief berührendem Spiel verdichtet zu einer Arbeit von selten zu erlebender Intensität. Fesselnd vom ersten bis zum letzten Augenblick.
Philosophische Gedanken und Erkenntnisse und Entdeckungen der jüngeren Physik-Geschichte - insbesondere, aber nicht ausschließlich aus der Quantenphysik - auf ihre metaphorische Bedeutung untersucht und künstlerisch in Bilder gesetzt, verdichtet in hochkomplexen, teils spielerisch aufbereiteten, herausfordernden und nicht nur die Welt der Kunst bereichernden Arbeiten. „Inhabit the Impossible“ und Black Hole“ setzen Maßstäbe. Bezüglich eines so dringend notwendigen, Spartengrenzen niederreißenden ganzheitlichen Ansatzes in der Betrachtung der Welt und des Menschen und ihrer spirituellen Dimension.
Und wenn sie gestorben ist, dann wird nicht alles von ihr zu Erde. Es entweichen ein paar Helium-Atome in die Atmosphäre, durchdringen diese und machen sich auf die Reise zum nächstgelegenen Schwarzen Loch. Richtig? Und wenn sie mit 6000 km/s fliegen, kommen sie dort, in dessen Singularität, in etwas mehr als 1,2 Millionen Jahren an. Unmöglich ist es also nicht, diese (und unsere) Singularität zu erreichen. Was wir dazu brauchen? Wie immer im Leben: Demut, Hoffnung und Zuversicht. Und ein wenig Geduld.
Saskia Hölbling mit „Inhabit the Impossible“ vom 17. bis 21. Jänner und Jyoti Dogra mit „Black Hole“ vom 19. bis 21. Jänner 2023 im WUK Wien.