Sie habe Ballett im Blut – „und nur das zählt“, knallt die 12-jährige Neneh ihren skeptischen Vorort-Freundinnen vor den Latz. Sie alle lieben das Tanzen und verbringen die Zeit draußen zwischen den Hochhäusern der Pariser Banlieue gemeinsam mit Street Dance. Neneh (absolut sehenswerter Newcomer-Star: Oumy Bruni Garrel) ist ein kraushaariger, doppelt begabter Wildfang mit starkem Selbstbewusstsein und sehr eigensinnigem Durchsetzungswillen. Ihr Traum in „Neneh Superstar“: die Ausbildung an der renommierten Ballettschule der Pariser Oper, um als erste schwarze Primaballerina die Bühne mit klassischen Hauptrollen zu erobern. So weit, so gut wie vorhersehbar.
Dank des erzieherisch liebevollen Rückhalts und der Unterstützung ihrer Eltern (Aïssa Maïga und Steve Tientcheu) gelingt der erste Schritt. Im Friseursalon, wo man die Unbändigkeit drahtiger, afrikanischer Wuschellocken zum strengen Tänzerinnen-Dutt zu zähmen weiß, beginnt Nenehs Verwandlung – allen folgenden Ungerechtigkeiten zum Trotz.
Im Ballettsaal überzeugt sie den Opernintendanten (Cédric Kahn) mit einer selbsteinstudierten Variation deutlicher als das Fachkollegium. Akzeptiert wird sie eher als Quotenschülerin, weil mehr Diversität gefordert wird. Eigentlich ein Top-Thema für einen Tanzfilm am Puls der Zeit. Am heftigsten sperrt sich die Ballettschuldirektorin Marianne Belage (Maïwenn). Der Grund ist erstaunlich, denn als deren größtes Problem entpuppt sich ausgerechnet der eigene Migrationshintergrund.
Früher selbst so ehrgeizig wie jetzt Neneh, wähnt sie ihre arabische Herkunft aus Karriere und Leben getilgt. Leider belässt es Regisseur Ramzi Ben Sliman etwas zu simpel dabei, dass die introvertierte Schulleiterin und die über alle Maßen fleißige Neue aneinander geraten – auch weil Neneh sich die fiesen, intrigant-biestigen Gemeinheiten der anderen Mädchen nicht bieten lässt. Wiederholt wehrt sie sich mit Gewalt – ganz wie es dort Brauch ist, wo sie herkommt.
Hier bietet der unterhaltsam-familientaugliche Film zahlreiche Diskussionsanstöße, über die weiter zu reflektieren sich gewiss lohnen würde. Schauspielerisch zünden Gemeinheiten, Charme und Temperament jedes Mal am besten, wenn sich Maïwenn als verkorkst-verbissene alternde Primaballerina und ihre erfolgshungrig-frische, einer wesentlich inklusiveren Einwanderergeneration entstammende Gegenspielerin verbissen fetzen.
Schade, dass der Zusammenprall einer schönen fiktionalen Geschichte mit einem klischeehaft überzogenen Innenblick auf Tanzprofessoren, Balletttrainingsmethoden und Probenarbeit letztlich in einem insgesamt zu platten Drehbuch stecken bleibt. Vielen der bloß angerissenen kultursoziologisch interessanten Denkansätze hätte man ruhig mehr Raum geben können. Perfektionsstreben und Disziplin bis hin zur Selbstaufgabe werden geschildert, ohne diese – was in der Realität zum Glück längst überall geschieht – kritisch zu hinterfragen.
Am Ende verkehrt sich die anfangs so schwierige Situation Nenehs, die ganz allein um Anerkennung und professionell korrekte Betreuung an der Balletteliteschule kämpfen muss, nach einem Unfall der Direktorin allzu plötzlich ins Gegenteil: ein aufgesetzt wirkender Märchenschluss, der den Spannungsbogen und die inneren Beweggründe der Figuren unglaubwürdig-rasant in Euphorie umschlagen lässt.
„Neneh Superstar“, Regie: Ramzi Ben Sliman, Frankreich 2022, Kinostart 6.4.2023, 97 Minuten. Zum Trailer