Die Diskussion flammt ja immer wieder auf, wenn es um „zeitgenössische“ Kunst geht: ist das die weit verbreitete Populärkultur oder die auf einen überschaubaren Kreis wirkende „Hochkultur“? Immer wieder gibt es Ansätze beide zusammenzuführen und Musik oder Praktiken der Popkultur auf die Bühne zu bringen. Selten ist das so großartig geglückt wie in Mette Ingvartsens klug inszenierter Performance „Skatepark“.
Auch wenn sich das erste Skateboard in die 1940er Jahre zurückverfolgen lässt, der Durchbruch zum Breitensport kam mit der Errichtung von sicheren, verkehrsfreien Orten, den Skateparks ab den 1970er Jahren. Diesem gesellschaftlichen Mikrokosmos widmet Mette Ingvartsen nun ihre Aufmerksamkeit und eröffnet eine neue Dimension ihrer choreografischen Arbeit. Der Fokus liegt ganz auf der Bewegung, auf dem rasanten Surfen, Gleiten, Rollen und Rutschen der Skater*innen über Rampen, Kanten und Hindernisse.
Für die Bühne hat man einen Experten engagiert: das Architekturbüro Antidote, das weltweit Skateparks im öffentlichen Raum realisiert hat. Während das Publikum im Saal Platz nimmt, üben Wiener Skater*innen bereits auf der Bühne. Immer wieder nehmen sie Anlauf, scheitern und feiern (ganz leise für sich) das Erfolgserlebnis, wenn die Wende an der Kante endlich gelingt. Die Jüngsten unter ihnen sind in diesem Vorprogramm übrigens die größten Draufgänger.
Zu welcher Meisterschaft das beharrliche Üben führt, zeigen dann jene zehn Skater*innen, die die dänische Choreografin ausgewählt hat. Sie verbinden in ihrem Auftreten, ihrer Kleidung mit Hoodies und Masken und in ihrer Musik und Postpunk-Liedern alle Ingredienzien einer Subkultur, einer Community, die durch die Leidenschaft zum Skateboard entsteht. Gleichzeitig repräsentieren sie die akrobatische Virtuosität, die nur durch disziplinierte Ausdauer erreicht wird. Darin ist Skaten dem Tanzen durchaus vergleichbar.
Ihren geschickten Moves zuzusehen ist ein einziges Vergnügen. Manch eine*r im Publikum wünscht sich wohl etwas mehr Bewegungsfreiheit, um die groovigen Beats auch körperlich wahrzunehmen. Vielleicht auch, weil man gleich Teil dieser Gemeinschaft junger Menschen unterschiedlichen Alters sein möchte.
Die Dramaturgie (Bojana Cvejic) nützt die Verdichtung des Skateparks auf die Bühnendimension der Halle G im Museumsquartier Wien, in der die Aktionen der Skater*innen verkürzt und daher bereits dramatisch erhöht sind. Die Choreografie folgt dem spielerischen Ansatz und setzt im ständigen, extrem schnellen Hin und Her, Auf und Ab ganz behutsam choreografische Eingriffe, sodass die Kickturns und Boardslides durchwegs spontan wirken und doch eine kinästhetische Dimension bekommen.
Dann greift einer zum Bass und die Sänger*innen/Tänzer*innen summen ein sanftes Lied. Das Licht wird gedimmt. Einige hängen erschöpft ab, einer versucht sich noch mit letzter Kraft an der Rampe emporzuranken.
Wenn das Tempo der Musik wieder Fahrt aufnimmt haben alle eine Maske aufgesetzt, als erinnerten sie sich ihrer Rolle als Rebellen. Nun repräsentieren sie vielleicht jene Skater*innen, die sich gegen die Zähmung der wilden Fortbewegung und ihrer Stunts in Skateparks widersetzen und sich lieber inmitten des urbanen Verkehrs tummeln. Denn wie (fast) jede Subkultur, hat auch das Boarden eine kommerzielle Seite, die den Widerstand, den Jugendliche ursprünglich damit ausdrückten, auszuhöhlen droht. Auf subtile Art gelingt es Mette Ingvartsen diese unterschiedlichen Aspekte einer Subkultur zu thematisieren.
Erst beim Schlussapplaus sieht man den Skater*innen an, dass sie diese Art der Wertschätzung noch nicht ganz gewohnt sind. Die sympathische Crew scheint sich ihrer Höchstleistung gar nicht richtig bewusst zu sein und über die Begeisterung, die ihnen das Publikum verdientermaßen entgegenbringt, fast überrascht, aber auch hoch erfreut.
Das Fazit für diese brillante Performance kommt von meiner Sitznachbarin: „Extrem cool!“
Mette Ingvartsen: „Skatepark“ am 20. Mai im Museumsquartier, Halle G im Rahmen der Wiener Festwochen. Letzte Vorstellung am 21. Mai.