Es passiert eigentlich nicht viel. Sie kommt aus dem Dunkel und bewegt sich in Slow Motion eine Stunde auf der Stelle. Die in New York lebende Zypriotin Maria Hassabi wählte das Tanzquartier Wien für die Erstaufführung ihrer Arbeit „On Stage“, deren Titel mehrdeutig auf die Bühne für jede menschliche Seele verweist: den Körper. Das Lesen ihrer Körpersprache – und zu akzeptieren, dass sie diese benutzt - wird zum Schlüssel für das Verständnis des Stückes.
Es ist lange sehr dunkel. Wind rauscht und pfeift. Nur langsam beginnt sich die schimmernde, schmale Fläche eines Körpers aus der Finsternis zu lösen. Das schwache Licht eines Spots auf sie gerichtet, den Kopf etwas erhoben, steht sie mit den Händen in den Hosentaschen. Ein Bein ist leicht auswärts gedreht. Locker sieht es aus, leger, vielleicht mit einer Prise Überlegenheitsgefühl gewürzt.
Sie kam aus tiefstem Dunkel, weil es die eigene, die soziale und die gesellschaftliche Disziplinierung, ein ungeheurer Konformitätsdruck, verlangen, sich, was meint, seine Gefühle „zu beherrschen“, sich zurück zu nehmen. Welche Gefühle aus welchen Gründen in Schach gehalten werden, hat mannigfaltige Ursachen. Sie erzählt davon in einer Reise durch die Landschaften nicht nur ihrer Seele.
Sie steht nie still, sie bewegt sich nie nicht. Mit äußerster Langsamkeit, durch Bewegungen von Kopf, Schultern, Beinen, Fuß, Händen, Oberkörper, fließt sie in und durch den physischen Ausdruck emotionaler Zustände. Den Saal halb beleuchtet, ein Spot auf sie gerichtet, erlaubt das Setting keine Distanzierung, kein inneres Zurücklehnen. Ihre Körperspannung ist immens. Das Licht auch im Saal erlaubt ihr, aus den zum Schlitz verengten Augen das Publikum im Blick zu behalten. Man fühlt sich wie aus dem Hinterhalt (von Gefühlen, die wahrgenommen und akzeptiert werden wollen) beobachtet, leicht unbehaglich.
Sie reist mit uns aus der nonchalanten Souveränität und einem „Hier bin ich.“ durch Ergebenheit, Hingabe und Vertrauen, Ablehnung, Loslassen und Entspannung, Verträumtheit, Versonnenheit und Nachdenklichkeit, Koketterie, Selbstbewusstheit, Zerbrechlichkeit, geradlinige Herausforderung und Provokation, Überspanntheit, bis ins Spastische reichende Verkrampfung, Lust, Schuldgefühle und Scham, Ratlosigkeit, Depression, Flehen, religiöse Ergebenheit.
Dann setzt sie ein Bein langsam nach vorn. Sie verlässt ihren Standpunkt, macht sich unsicher auf einen (noch) unbekannten Weg. Sie leidet, ist zerrissen zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Vertrautem und Ungewissem, zwischen Festhalten und gefangen Sein und dem Ruf einer anderen Zukunft. Ihrer Zukunft. Ihrer Natur. Ein Vogel zwitschert kurz. Dann ist sie aufrecht und stolz.
Sie empfängt, sie ist bereit zu nehmen, anzunehmen. Das Leben und sich selbst. Demütig. Am Ende steht sie gerade, mit verschränkten Armen, und schaut in die hell beleuchtete Tribüne. Es ist still. Ein Klangteppich aus ein paar Akkorden begleitet das Dimmen des Lichtes bis in die Dunkelheit. Das also ist meine Geschichte. Nun habt ihr sie gesehen. Wie wollt ihr, ihr Einzelnen und ihr als Gesellschaft, mit eurer Geschichte umgehen? Diese Fragen scheint sie uns mit in die Zeit danach zu geben.
Mit ungeheurer Präzision fließt sie durch die Zustände. Ihr Körper zittert manchmal leicht vor Anspannung. Der Sound von Stavros Gasparatos und Maria Hassabi selbst begleitet sie mit Rauschen und Surren, kratzenden Streichern, Flüstern, dem Summen eines Mannes und Synthesizer-Akkorden, alles sehr sparsam und mit stillen Intermezzi eingesetzt. Das Lichtdesign von Aliki Danezi Knutsen durchbricht die Grenze zwischen Publikum und Performerin und erzählt seinerseits die Geschichte einer Emanzipation. Wie Maria Hassabi.
Mit „On Stage“ gibt sie neben ihrem Körper als Manifestations-Ebene ihrer, einer Psyche auch einem Emanzipationsprozess eine Bühne. Der zwischenzeitliche Hilfeschrei aus ihrem Inneren „Hört mich denn niemand? Höre mich an! Höre mir zu!“ lässt sie in eine zutiefst feministische Bewusstwerdung münden. Es gibt keine Stati. Alles ist fluide, alles ist unaufhörliche Veränderung. Jedes Detail dient einer komplexen Dramaturgie. Die Universalität der menschlichen Gefühle und ihre Manifestation in Körpersprache so fokussiert und mit dieser Präzision vorgeführt zu bekommen ist beeindruckend. Auf der Bühne des Lebens, wo wir uns, unbewusst oder gewollt, unablässig mit unserem Körper ausstellen. Wo wir alle zu Performenden werden.
Und ganz nebenbei, aber unvermeidbar: „On Stage“ erinnert stark an „Sensation 1“ von Ligia Lewis, die mit Mark Barden vor einem Jahr an eben dieser Stelle eine sehr ähnlich angelegte Solo-Performance präsentierte (tanz.at berichtete).
Maria Hassabi mit „On Stage“ am 24.11.2023 im Tanzquartier Wien.