Pin It

DansKias1Die Wiener Choreografin und Tänzerin Saskia Hölbling stellt sich mit ihrem neuen Stück den allzu deutlichen Zeichen unserer Zeit. Die nicht nur hierzulande die gesellschaftliche und politische Landschaft ver-, schlimmstenfalls sogar zer-störende Tendenz der Aufspaltung in immer kleinere, sich befehdende Einheiten und den fatalistischen Rückzug des Einzelnen aus wirksamer Teilhabe tanzen drei TänzerInnen als entkräfteten Schrei.

Drei flache Podeste stehen wie Trutzburgen, wie „My Home is my Castle“ der drei TänzerInnen Saskia Hölbling, Leonie Wahl und Ardan Hussain. Auf einen diagonal ausgerollten, asphaltgrauen Streifen Tanzboden projiziert Evi Jägle mit ihrer Video-Installation schnell geschnittene Impressionen vom Innen-Leben reizüberfluteter Zeitgenossen. Menschenmassen, flüchtige, kaum erfassbare, in und wegen ihrer Fülle nicht verarbeitbare Bilder einer hochkomplexen Wirklichkeit, die wie Reels und Posts und Tweets an einem vorbei und doch durch einen hindurch rauschen, um sich dort zu verfangen. DansKias2

Jede(r) geht auf seine/ihre Weise damit um. Saskia Hölbling, schon öfter zeigte sie ihr lyrisches Talent in ihren Stücken, rezitiert Englisch. Sie rahmt damit das Stück. Von digitalen Welten redet sie, von den in der Uniform der der Diversität Marschierenden, von Brot und Spielen der Neuzeit: Digitale Zerstreuungen als Gleitmittel für die Schussfahrt in die innere Leere. Das Licht von Reto Schubiger irrlichtert anfangs, separiert dann gemeinsam mit der Musik Szenen und Stimmungen, segmentiert die Bühne und hebt die drei PerformerInnen aus der sie umgebenden Finsternis.

Leonie Wahl ist getrieben, aber sie kämpft. Ihr Ringen um eine Positionierung in und zu dieser Welt und zu sich selbst - sie prüft verschiedene Identitäten bei der Suche nach der Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ - ist ein mühsames, vergebliches Unterfangen. Ardan Hussain ist gefangen. Seine Spielräume und seine engen Grenzen erkundend und nicht ohne Auflehnung gegen diese akzeptierend, geben ihm etwas wie Freiheit. Saskia Hölbling taumelt hin und her gerissen, ohne Halt und Orientierung. Sie fühlt sich bedroht, leistet Widerstand. Alle drei sind allein.

DansKias3Heinz Ditsch bettet eine Reihe von Popsongs in elektronischen Sound und Stille. Die Dramaturgie dieser Songs von den Dire Straits, Anne Clark, Serge Gainsbourg, James Brown, Tricky und Shwamp leitet das tänzerische Geschehen, das die musikalischen Vorlagen jedoch ironisch bricht und spiegelt. So wird aus dem Klassiker „Je t'aime“, zum Beispiel, der Tanz einer konfliktgeladenen Beziehung voller Machtkämpfe und Aggression und der Unfähigkeit zu Öffnung und Nähe. Oder zu „It's a Man's World“ schlüpft Ardan Hussain in einen Reifrock und erlaubt sich die - verwirrende - Entdeckung seiner weiblichen Aspekte.

Was Annäherung und ein Erkunden der Gemeinsamkeiten ermöglicht. Und Hölbling findet in den Selbstausdruck. Ihre Kreise ziehend ermächtigt sie sich innerhalb dieser. Sie synchronisieren ihre Bewegung, legen Kleider auf als flüchtige Fassaden und Maskeraden und identifizieren diese als solche. Der Tanz der drei mit unaufgeregter, bescheidener und doch energetischer Präsenz ist reif, stellt sich in den Dienst des Sujets, braucht keine Effekte und strahlt deswegen um so kräftiger. Wunderbar!

Emotionale Wirkung ist dem Stück nicht vergönnt. Dennoch ist es relevant. Es fügt sich ein in eine Reihe von Arbeiten Hölblings, in denen sie den Wirkungen von Umwelten auf das Individuum und auf dessen Einbettung in soziale und gesellschaftliche Strukturen nachspürt. In diesem gemeinsam choreografierten Stück untersuchen sie Vieles. DansKias4

Die Entwurzelung des Individuums führt in habituelle und textile Verkleidungen, die wie ein seelisches Außenskelett Halt geben sollen. Die jedoch taugen nicht zur Identifizierung mit ihnen. Als Pluralität getarnte Verunsicherung und Haltlosigkeit machen Angst. Und die macht aggressiv. Schattenboxen ins Nichts und Beziehungsgefechte erzählen davon. Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit gebären Resignation. Auf diese folgen Flucht oder Angriff, Depression oder Aggression. 

DansKias5In die virtuelle Welt verlagerte, polarisierte und polarisierende Verkündigungen vereinfachter Wahrheiten sind Zeugnisse zerfaserter Wertesysteme und der Macht des Irrationalen. Wo Phantomen Macht gegeben wird und falschen Götzen Wert, muss das Selbst zurückstecken. Diversität ist eine bunte Fassade, hinter der die immer gleichen, den Anderen (be-) treffenden Ressentiments, streng behütet vom im Unbewussten geschützt agierenden Nicht-Genügen, gepflegt und gelebt werden. 

Sie versichern sich ihrer Gemeinsamkeiten und gehen dann doch wieder getrennte Wege. Aber mit einem auf eine andere Ebene gehobenen Bewusstsein, das sie fortan anders leben lassen wird. Sie zeigen mit ihrem finalen Tanz mit in den Raum gespannten schwarzen Bändern die Verstrickungen in mediale Landschaften, virtuelle Realitäten, soziale und gesellschaftliche Korsette und psychische Konditionierungen. Aber auch, dass es möglich ist, sich dieser nicht nur zu entwinden, sondern mit ihnen zu leben, sie konstruktiv zu nutzen. Unter der Voraussetzung der Bewusstwerdung. Diese Andeutung von Hoffnung macht aus „Cri des signes“ eine zarte, ja zärtliche Utopie für eine dem Zerfall entgegenstrebende Welt.

DANS.KIAS mit „Cri des signes“, Uraufführung am 14.01.2025 im OFF-Theater Wien. Weitere Vorstellungen noch bis 19. Jänner

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.