Diesmal stimmt der Gemeinplatz vom Letzten, das das Beste ist. In seinem letzten Intendanz-Jahr kann Thomas Frank für 2014 das beste Ergebnis vorlegen. Mit einer Bilanz von mehr als 90 Prozent Auslastung übergibt er das schuldenfreie Haus seiner Nachfolgerin Kira Kirsch. Noch einmal aber kann Frank ein spannendes und auch geheimnisvolles Programm für das Festival imagetanz anpreisen. „Unheimliche Körper“ werden für drei Wochen das brut sondern auch andere, vor allem öffentliche, Räume unsicher machen.
Kuratorin Katalin Erdödi hat das abwechslungsreiche Programm – Newcomer und schon ein wenig erfahrene Tänzerinnen und Performerinnen bunt gemischt aus dem In- und Ausland – mit Fantasie zusammengestellt. Auch sie wird das brut verlassen, obwohl man der klugen und international versierten Kuratorin noch einige weitere Jahre gegönnt hätte, damit sie auch die in den zwei Jahren ihrer Arbeit gesammelten Erfahrungen so richtig einsetzen könnte. Die Liste der Beteiligten am traditionellen und dennoch dem Experimentellen offenen Festival kann sich allerdings sehen lassen.
Weil es doch um das Unheimliche, die inneren Ängste und Dämonen, um das Irrationale und auch um das Anderssein, die Fremdheit geht, kann und soll nicht viel erklärt werden. Eröffnet wird jedenfalls mit der performativen Installation „training“ im Künstlerhaus, die das Duo hoelb / hoeb (Barbara Hölbling, Mario Höber) gestaltet hat. Zum Diskurs innerhalb im Trainingslabor aus Turngeräten, Prothesen, Intensivbetten und Robotern, sind Philosophen, Medizin-Techniker, KünstlerInnen, insgesamt 20 ExpertInnen aller Sparten, und natürlich auch das Publikum geladen. Im Zentrum steht die Beschäftigung mit körperlichen Veränderungen und Körperbildern an der Schnittstelle von Mensch, Tier und Robotik. Vom 6. bis 8. März ist das Trainingslabor im Künstlerhaus zu unterschiedlichen Nachmittags- bis Abendzeiten geöffnet. Die BesucherInnen dürfen nicht nur die Performanceeinheiten konsumieren, Meinungen austauschen sondern sich auch praktisch in fremde Situationen begeben und an Trainingseinheiten teilnehmen.
Blind gehen. Auch der nächste Programmpunkt verlangt ein aktives Mitarbeiten der Gäste. Myriam Lefkowitz aus Paris lädt zu „Walk, Hands, Eyes“ ein und bietet einen geführten Spaziergang durch die Stadt an. Ein Performer / eine Performerin führt eine Zuschauerin zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort. Das Besondere an diesem Spaziergang, bei dem nicht geredet werden soll, ist die geforderte Blindheit der / des Geführten. Nur an manchen Stellen dürfen die Augen für eine Sekunde geöffnet werden. Neue Bilder entstehen im Kopf. Die Spaziergänge starten am 6., 7. und 8. März Nachmittag in der Künstlerhausgalerie.
Anzukündigen ist auch Julian Hetzel mit seiner Performance „I’m not Here Says The Void“ („Ich bin nicht hier sagt die Leere“). Wen leicht fröstelt, wer schnell die Gänsehaut spürt, sollte den Niederländer nicht herein lassen, das Unheimliche steht direkt hinter ihm. Wenn dieses die Herrschaft übernimmt hat die Logik keine Chance mehr und Handlung gibt es so wie so keine. Wie es innen drin aussieht, geht niemand was an. Die beide Norwegerinnen Ingri Midgar Fiksdal und Signe Becker lösen die Grenze zwischen Publikum und Performerinnen auf. Alle stecken in "Hoods" unter einer Haube, verlieren ihr menschliches Aussehen. Fasziniert und unbehaglich zugleich fühlten sich die in die Choreografie integrierten, als Zuschauerinnen Gekommenen bei der Uraufführung. Die norwegische Berichterstatterinnen waren begeistert und verliehen den Künstlerinnen den Kritikerpreis 2014.
Unheimlich gierig. Neben Barbara Ungepflegt, die sich in „Meines“ mit dem Fruchtbarkeitsdiktat auseinandersetzt, Teresa Vittucci, die sich in „Lunchtime“ über Lust und Frust, Fressen und Hungern Gedanken macht und das Publikum mit der Frage „Wer frisst eigentlich wen?“ in ihre komödiantische Performance mit einbezieht, begnügt sich Milan Loviška mit 17 Minuten Horror im Konzerthauskeller. „In the Cold Light of Darkness Something’s Gonna Die“ ist ein effektvoller Traum, verstörend, nicht begreifbar, fantastisch. Nach 17 Minuten darf wieder in die Realität zurückgekehrt werden. Wenn man kann.
Festivalreif sind nicht nur Núria Güell („Organized Disintegration“), Sööt / Zeyringer („lonely, lonely“) sondern schon längst auch Barokthegreat. Nach dem erfolgreichen Tanzstück „indigenous“ besticht die Veroneser Formation nun mit „Victory Smoke“. E-Gitarren-Sound und Tanz zwischen Licht und Schatten erzählen vom Triumph des Jägers über seine Beute. Dann darf er die Siegespfeife rauchen. Was aber wird in diesem Stück, in dem Tanz und Musik den gleichen Stellenwert haben, gejagt wird, bleibt verborgen. Die ZuschauerInnen dürfen sich ihren Reim machen.
Erdödi hat auch die Klasse Performative Kunst der Akademie der bildenden Künste zur Mitwirkung eingeladen. Die StudentInnen haben für das Festival Installationen, Videoarbeiten und performative Interventionen entwickelt, zwischen Performances, Konzerten, im öffentlichen Raum, auch im Künstlerhaus (bei „training“) und während der Eröffnungs- und Abschlussparty gezeigt werden. Schon seit geraumer Zeit verschmilzt Tanz mit der bildenden Kunst, seit 2009 beschäftigt sich das Institut für Performative Kunst an der Bildenden von der anderen Seite mit beiden Kunstsparten, den Unterschieden und den Gemeinsamkeiten von darstellender (bewegter) und bildender (statischer) Kunst.
Übrigens die Eröffnungsparty (in der Dark Disco natürlich) findet mit Performances und Musik ab 22 Uhr am 6. März statt. Klar, was so fulminant eröffnet wird, muss ebenso geschlossen werden: am 21. März, ab 23 Uhr bei freiem Eintritt. Die Klasse „Performative Kunst“ ist auch dabei.
imagetanz 2015, Festival für Choreografie, Performance und unheimliche Körper, 6. bis 21. März an unterschiedlichen Spielorten, veranstaltet von brut. Das Programm, vollständig und im Detail auf www.brut-wien.at