Die Dominanz des Schauspiels bei den Wiener Festwochen werden Tanz und Performance auch heuer nicht brechen, aber dass auch die verbal weitgehend stumme Kunst, etwas zu bieten hat – Ernsthaftes, Erschreckendes und Unterhaltendes – zeigen diesmal nicht nur Alain Platel mit Les Ballets C. de la B. oder Meg Stuart mit ihrem Ensemble Damaged Goods.
Wie immer preist Festwochenintendant Luc Bondy die Theaterproduktion, und darunter vor allem seine Regiearbeiten, am lautesten an. Doch neben dem „Fest für Alban Berg“ im Musikprogramm mit der Aufführung von „Wozzek“ und „Lulu“ (Theater an der Wien) sollen auch eine Reihe von Tanz- und Performanceproduktionen das Festwochenpublikum erfreuen.
Eröffnet wird die Tanzbühne von Meg Stuart / Damaged Goods mit dem im Vorjahr in Toulouse uraufgeführten Stück „Do Animals Cry“. Würde Meg Stuart nicht mit Ironie und Witz arbeiten, könnten ihre Stücke eine schwere Depression auslösen. Auch diesmal geht es um den Menschen, der längst ein Wolf ist. Die sechs PerformerInnen sind eine Familie und benehmen sich, wie sich eben Familienmitglieder benehmen. Sind fürsorglich und gemein, gleichgültig und interessiert, lieben und hassen einander. „Zum Heulen schön“ findet Elena Philipp in der Nachtkritik.de und warnt: „Die Ankündigungen greifen zu kurz. Es ist nicht nur ein Stück über "die Schicksalsgemeinschaft Familie", sondern ein choreographisches Kuriositätenkabinett mit einem einzigen Sammlungsobjekt, dem Homo Sapiens.
Der kongolesische Choreograf und Tänzer Faustin Linyekula, immer wieder bei ImPulsTanz zu Gast, bringt mit seiner Kompanie Studios Kabako ein szenisches Konzert mit. „more more more … future“ ist eine wilde Mixtur aus Clubnacht, Punkoper und Tanz-Performance. Die Wut des europäischen Punkt mischt sich mit der lebensfrohen Energie der kongolesischen Popmusik Ndombolo. „Ndombolo besingt die schönen Frauen, die teuren Klamotten, die Markenwagen, als gäbe es alles im Überfluss in diesem Land“, erklärt Linyekula und hat die Texte verändert, den musikalischen und optischen Glamour jedoch beibehalten. Mit seiner Performance kämpft er gegen die Resignation in seiner durch Korruption und Krieg zerstörten Heimat. Die Texte des Abends stammen von Antoine Vumilia Muhindo, einem politischen Häftling.
Weniger glamourös aber aufregend genug ist Alain Platels neuestes Stück „Out of Context“. Wie schon in anderen Stücken beschäftigt sich Platel mit der Bewegung, die aus Gefühlszuständen entsteht. Hysterie und Ekstase sind die Themen des ausgebildeten Therapeuten, die er seine TänzerInnen bis an die Grenzen des Möglichen zumutet. Ohne Bühnenbild, ohne Instrumentalisten, ohne narrativen Rahmen lässt der seine neun hochprofessionellen TänzerInnen die unsichtbare Wand zwischen Bühne und Zuschauerraum durchbrechen. Kompromisslos, erschreckend und überwältigend zugleich.
Mit Breakdance und Rap (Graffiti und Comic) arbeitet auch Volker Schmidt, wenn er den französischen Film „La Haine“ von Mathieu Kassovitz (1995) als Stationentheater zeigt. Im Film zeigt Kassovitz einen Tag im Leben dreier Jugendlicher in den französischen Vororten am Tag nach Zusammenstößen mit der Polizei. Schmidt adaptierte den Stoff für das Gaswerk Leopoldau, zu dem die TeilnehmerInnen mit dem Bus gebracht werden.
Eine Schauspiel- und Tanz-Performance hat der japanische Regisseur Toshiki Okada mit dem dreiteiligen Abend „Hot Pepper, Air Conditioner, and the Farewell Speech“ entwickelt, um einen Einblick in die heutige (vor allem japanische) Arbeitswelt zu geben. Die sechs Darstellerinnen müssen sich auch beim Sprechen (Japanisch mit Übertiteln) einer Choreografie unterwerfen. Wenn man nicht sagen darf, was man denkt, dann verkrampft sich nicht nur der Körper. Für den mittleren Teil der Trilogie wurde Toshiki Okada den renommierten „Toyota Choreography Award 2005“ nominiert, im Vorjahr hat er den Einakter mit seiner Truppe chelfitsch zu einer abendfüllenden Performance erweitert.
Weder Sozialkritik noch Grenzüberschreitungen bietet der Franzose James Thiérrée („La Veillée des Abysses“) mit seiner neuen Produktion „Raoul“. Zirkus-Theater aus Paris. Mehr muss dazu nicht gesagt werden.
Genuss und Unterhaltung bieten die Wiener Festwochen auch bei freiem Eintritt. Die von Wolfgang Schlag kuratierte Reihe „Into the City“ bietet den BewohnerInnen der Stadt eine Begegnung mit verschiedenen künstlerischen Disziplinen. Gekrönt werden die sieben Produktionen am 15. Mai von einem Konzert auf dem Rathausplatz. Vier stunden Weltmusik mit elf Bands aus Wien, New York und Barcelona. Tanzen ist dabei nicht verboten.
Wiener Festwochen 14. Mai–20. Juni 2010. Das detaillierte Programm mit sämtlichen Aufführungsdaten ist auf www.festwochen.at/ zu finden.