Die Kunsthalle wien ist vier Monate lang ein Zirkuszelt, in dem zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler die immer noch faszinierende Welt der Wünsche, Träume und Sehnsüchte thematisieren. Verführerisch und reich an Erkenntnissen, macht die abwechslungsreich choreografierte Ausstellung auch klar: So scharf sind die Grenzen zwischen der alltäglichen und der zirzensischen Welt gar nicht.
Die Begrüßung erfolgt durch Charlie Chaplin. Schon im Stiegenaufgang läuft der Stummfilm „Der Zirkus“ (1928), der Chaplin in seiner Oscar-gekrönten Performance als unfreiwilliger Clown auf dem Seil zeigt. Unter Tränen lachend betritt man die „Parallelwelt“ und ist sofort verzaubert. Der dänische Künstler Jeppe Hein hat ein Zelt aus Licht installiert. Bevor aber der „Light Pavillon“ in seiner ganzen fragilen Pracht erscheint, sich bläht und pulsiert, gilt es Freiwillige zu finden, die Anstrengung nicht scheuen und den Hometrainer im Hintergrund bedienen, damit Energie das Lichtzelt lebendig werden lässt. Hein ist nur einer unter vielen KünstlerInnen, die von der Zirkuswelt beeindruckt und beeinflusst sind und sich wie Peter Blake oder Alexander Calder seit Jugendtagen damit auch künstlerisch auseinander setzen.
Noch ein paar Namen gefällig, falls das Thema allein nicht lockt? Diane Arbus, Julien Bismuth, Federico Fellini, Daniel Firman, Bruce Nauman, Simmons & Burke oder Ulrike Ottinger. Zu studieren und genießen, was sie (und viele mehr) zu sagen haben, ist ganz sicher ebenso spannend und aufregend wie eine Zirkusvorstellung. Skulpturen, Bilder, Fotos, Installationen, Filme und Videos lassen eine Zirkuswelt entstehen, die so vermutlich nicht erwartet wird.
Zirkus stand zum Ende des 19. Jahrhundert als schmutzige Schwester in scharfer Konkurrenz zum Theater. Danach verlor zwar die Manege ihren Zauber, aber die Zirkuswelt und ihre BewohnerInnen lebten weiter – im Kino, in der Literatur, in der bildenden Kunst. Es ist überraschend, wie viele Maler und Bildhauer sich zu ihrer Liebe zu Clowns, Dompteuren, Akrobatinnen, Seiltänzerinnen und Damen ohne Unterleib bekennen.
Alle sind sie vorhanden in der „Parallelwelt“ in der Kunsthalle, der dumme August und der weiße Clown, der Löwe, der durch den Reifen springt und der schwebende Elefant, die kleinen Menschen und die großen Tiere. Man muss sie nur zu finden wissen.
Die Kuratorin, Verena Konrad, hat mit den Werken renommierter KünstlerInnen eine abwechslungsreiche und selbst erklärende Schau zusammengestellt, die nicht nur die fremde (und klischeehaft verkitschte) Glitzerwelt zeigt, sondern auch über das Fremde und Andere (die Fremden und Anderen) in unserer nur angeblich „normalen“ Welt nachdenkt.
Als praktische Berater hat das Team der „Zirkusakademie kaOs“ aus Wien mitgewirkt. Die Mitglieder der KAOS-Akademie (hoch motivierte und professionell arbeitende KörperkünstlerInnen) haben auch für die renommierte Pariser Kunstgalerie Yvon Lambert eine Performance gestaltet, die auf Fotos dokumentiert ist. Die Galerie hat vier monochrom bemalte „Bilder“ zur Verfügung gestellt, die von den jungen ArtistInnen als Inspiration, Versatzstück, Gerät und Bühne benutzt wurden, um sich dahinter zu verstecken, davor zu posieren oder darüber zu schweben. „It’s a circus“ ist mehr als eine Dokumentation lebendiger Zirkusarbeit.
„Parallelwelt Zirkus“, Kunsthalle wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien. Bis 2. September 2012, täglich 10–19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr.
Zirkus KAOS: „verrücken“, Vormittags- und Abendvorstellungen in der Zirkushalle, Lois-Häfliger-Gasse 10, 1210 Wien. 24. bis 28. 6. 2012.