„Who cares? / Wen kümmerts?“ steht als bange Frage über den Märztagen, die im brut traditionell dem Off-Tanz, der Performance und allem was sonst gut und nicht teuer ist. Die neue Kuratorin von imagetanz, Katalin Erdödi, hat den frischen Duft von Paprika aus ihrer Heimat Ungarn mitgebracht und ein abwechslungsreiches Programm präsentiert, das sich durch das Hauptthema der Fürsorge nicht einschränken ließ.
Radikal oder spielerisch. Thematisch solle es um prekäre Verhältnisse im allgemeinen und die der darstellenden Zunft im speziellen gehen, um neue Strategien dagegen und um die schwindende Solidarität des Einzelnen und der Gesellschaft. KünstlerInnen aus dem In- und Ausland machen sich bewegend, redend und darstellend darüber Gedanken. So ernst die Thematik ist, so darf dennoch gelacht oder wenigstens geschmunzelt werden. Zum Beispiel wenn Barbara Ungepflegt in der Café Konditorei Mentone (1070, Kirchengasse 7) die Punschkrapferl und Cremeschnitten aus der Vitrine räumt, um die Alte dort abzulegen. Ernster Hintergrund der süßen Show mit dem erlösenden Titel „Endlich“: die undurchsichtigen Abläufe der Altenpflege. Katarinamuri gestaltet mit ihrer 16jährigen nach einem Geburtsschaden beeinträchtigten Tochter eine sehr persönliche Performance unter dem Titel „ song of myself or (m)other“. Theoretische Grundlage ist die von Österreich unterschriebene aber noch nicht gänzlich umgesetzte UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigung.
Das ist keine Show. Spannend könnten auch die „Lectures for every one“ werden, die Sarah Vanhee aus Brüssel ganz ernsthaft bei Meetings großer Organisationen hält. Begleitet von Deborah Hazler als Dolmetscherin hält sie ihre Rede bei Vereinen, Firmen und auch im Parlament. Die beiden sprechen über die Gesellschaft, das Gemeinwesen und über neue Strategien das Zusammenleben zu verbessern. Diese Lectures haben bereits in vielen Städten an unterschiedlichen Orten stattgefunden. Im brut wird an zwei Abenden die Lecture im Rahmen einer Videopräsentation gezeigt. Vielleicht erfährt man dabei auch, ob Sarah Vanhee damit nicht nur künstlerischen sondern auch praktischen Erfolg hat. Mit der Performance-Installation „KBB Künstlerisches Bedarfsbüro“ wendet sich das (deutsche, weibliche) Duo Harder & Schultz direkt an seine KollegInnen, die Künstlerinnen und Künstler, die der Fürsorge bedürfen. Am Ende der 5-tägigen Bürozeiten im Foyer des brut, wird Bilanz gezogen und eruiert, welche Bedürfnisse KünstlerInnen tatsächlich haben und was ihnen am meisten fehlt. Für Bedürftige steht eine Hotline zur Verfügung: 0681 819 253 91. Im „Grundeinkommenstanz“ äußern Sabina Holzer /Mariella Greil / Nikolaus Gansterer den Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und untersuchen im Vorfeld auch die Möglichkeiten dafür. Getanzt wird in der Bäckerei Ströck bei der U1 -Station Reumannplatz. Mittänzerinnen und Tänzer, denen das Grundeinkommen ebenfalls am Herzen liegt, werden erwartet und sind willkommen.
Noch einmal Neokapitalismuskritik. Der 55jährige Schauspieler und Sprecher Harald Jokesch, gestaltet eine Idee des in Wien lebenden jungen finnischen Künstler Joonas Lahtinen, der sich (in Englisch) an den ehemaligen Premierministers Großbritanniens, Tony Blair wendet: „I Blame You, Tony Blair!“. Lahtinen findet den Altersunterschied zwischen ihm als Textautor und Jokesch als Performer faszinierend „Ich habe nichts anderes erlebt als die heutigen Bedingungen für Künstler, aber Jokesch, der seit 1987 als freier Schauspieler arbeitet, hat den Wandel am eigenen Leib erfahren.“ Ob Blair Deutsch versteht, ist mir nicht bekannt, Lahtinnen jedenfalls spricht es ausgezeichnet.
Magischer Beginn. Eröffnet wird das Festival von der jungen Truppe Barockthegreat aus Verona. Mit dem zweiaktigen Sounddrama „Indigenous“ soll keine Botschaft verkündet und auch niemand umsorgt werden. Die Tänzerinnen bewegen sich gleich einem magischen Ritual zu rhythmischer Live-Musik im Dunkeln, lassen die Körperbilder aber blitzartig zur Geometrie werden, die wohlige Trance wird rüde unterbrochen. Vor der Vorstellung am 8. März laden sie einem experimentellen Tanztraining. „Expressiv Gym“, das Barockthegreat zu Hause entwickelt hat, dort jedoch ein Jahr dauert. Hier ist der kurze Einblick zum Mitmachen gratis, jedoch am besten in Sportkleidung mit Turnschuhen zu erfahren.
Eher theoretisch ist der Beitrag der Nanopolitics Grpup aus London. Mit einem Buch ("The nanopolitics handbook") und einem Worskshop suchen sie die Anwort auf die Frage, wie man im urbanen Raum mit dem Körper poltisch agieren kann. Im genannten Buch, sind Ideen und Konzpete nachzulesen.
Die Auswahl der Details aus dem reichhaltigen Programm ist eher zufällig als objektiv, doch so ein mit Bedacht zusammengestelltes Festival soll ja gesehen werden und nicht überlesen. Dass es zum Abschluss, wie auch sonst oft im brut, eine Party gibt, sollte nicht eigens erwähnt werden müssen.
imagetanz 2014, Festival für Choreografie, Performance und Care, 6. – 22. März, brut (im Künstlerhaus, Konzerthaus und im öffentlichen Raum). Genaues Programm auf der brut-website.