Nahezu das gesamte Ensemble des Wiener Staatsballetts ins im großen Ballettsaal versammelt. Zur Musik Peter I. Tschaikowskis wird ein Märchen einstudiert. Nicht nur für die Solistinnen, auch für das Ensemble anstrengende Tage.
Noch 15 Tage bis zur Aufführung, nur noch 15 Tage. Zum ersten Mal wird der erste Akt probiert Auroras Geburtstagsfest, Rosenwalzer, Rosenadagio. Großer Auftritt im Ballettsaal für „Dornröschen“. Noch herrscht ein wenig Chaos. Die Festgäste müssen erst den richtigen Takt finden, Wege erfassen, Drehungen und Wendungen begreifen und mit den etwas schlappen Girlanden zurecht kommen. Natürlich sind das nicht die schönen Rosen, die später auf der Bühne blühen werden, nur Probenrequisiten, verblichen und etwas verstaubt. Schließlich war Sir Peter Wrigths Version (eine Rekonstruktion des Originals von Marius Petipa, von ihm selbst 1995 in Wien einstudiert) des Balletts von der verfluchten Prinzessin schon gute fünf Jahre nicht in Wien zu sehen. Ballettdirektor Manuel Legris hat die prächtige Ausstattung von Philip Prowse wieder aus dem Fundus geholt und lässt das Ballett zur einschmeichelnen Musik Tschaikowskis von seinem Ensemble neu einstudieren. Sir Peter hat den peniblen Choreologen und ehemaligen Tänzer am Royal Ballet Denis Bonner als Vertreter entsandt. Der achtet darauf, dass Ensemble und SolistInnen sich in Haltung und Bewegung genau an das Original des Meisters halten. Immer wieder blickt er in die Aufzeichnungen (in der Benesh-Notation), um ganz sicher zu gehen. Sogar das Verbeugen, Révérance vor den Festgästen, muss geübt werden. Monsieur Bonner hat an Gewicht wohl zugelegt, nicht aber an Eleganz und Geschmeidigkeit verloren. Wie eine Entenmutter tänzelt er mit der Partitur in der Hand vor den acht Freundinnen des Geburtstagskindes her, um ihnen die richtige Diagonale zu zeigen. Nur schwer ist er zufrieden zu stellen.
Dennoch sind die Ballerinen und Ballerinos bestens gelaunt, tuscheln, schwätzen und kichern, wenn sie auf den nächsten (Proben-)Auftritt warten. „Wie soll man sich da konzentrieren? Medames, Messieurs!“ mimt Direktor Legris den gestrengen Vater und bringt die fröhliche Schar zur Ernsthaftigkeit der schweren Arbeit zurück. Eins, zwei, drei skandiert Bonner den Walzerschritt, die Girlanden schwingen in richtiger Höhe, die Arme in die gleiche Richtung. Der Walzer sitzt.
Auftritt der Königin. Würdig schreitet Alexandra Kontrus an der Hand des Königs Thomas Mayerhofer in den Raum. Als Gast wird die geborene Moskauerin und ehemalige Solotänzerin an der Wiener Staatsoper (bis 2005) wieder auf der Bühne stehen. Auch einer ihrer letzten Auftritte als Ensemblemitglied galt dem gern als Ballett aller klassischen Ballette bezeichneten „Dornröschen“. Als böse Fee Carabosse überreichte sie den Rosenstrauß, in dem die tödliche Spindel steckt. In der ersten Aufführung der Serie dieser Saison wird Ketavan Papava ihre Nachfolgerin sein. Die gute Fee aber, die liebliche Fliederfee, ist noch immer dieselbe. Dagmar Kronberger wird wie damals den tödlichen Fluch abmildern und Aurora samt allen Schlossbewohnern in Tiefschlaf versetzen. Nach 100 Jahren führt sie den Prinzen (Vladimir Shishov in der ersten Vorstellung, später auch Roman Lazik) zur schlafenden Schönen. Kuss und pompöser Schluss.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch werden die Girlanden geschwungen und Rosen verteilt. Liudmila Konovalova hat das Adagio schon in jeder Faser ihres Körpers. So sicher und lange wie sie auf der Spitze stehen kann, können die vier Prinzen ihren Heiratsantrag gar nicht ausdehnen. Abgewiesen werden sie so wie so. Aurora ist noch nicht nach Hochzeit zumute, aber auch nicht nach Sterben. Das leblose Hinsinken nach dem Stich mit der verborgenen Spindel will Bonner noch nicht ganz gefallen. Mit ungebrochenem Einsatz beginnt Konovalova von Neuem ihr Solo. Markieren, so Tun als ob, das geht auch bei einer ersten Probe nicht. Ballett ist immer Schwerstarbeit, ob auf der Bühne oder im Saal. Im Hintergrund drehen sich auch die beiden anderen Auroren. Olga Esina und Maria Yakovleva werden alternierend mit Konovalova nahezu drei Stunden lang als Prinzessin das Publikum verzaubern. Vorerst aber gilt es noch andere Zuschauer zu begeistern. Das Wochenende nach dem Marienfeiertag verbringt das Wiener Staatsballett an der Côte d’Azur. Die erfolgreiche Produktion „Hommage an Jerome Robbins“ ist nach Monte Carlo eingeladen. Karten für die beiden Abende gibt es kaum noch.
„Dornröschen“ Ballett von Marius Petipa / Peter Wright; Musik: Peter Iljitsch Tschaikowski. Sieben Aufführungen zwischen 21. Dezember 2011und 7. Jänner 2012 an der Wiener Staatsoper.
Probenbesuch am 5. Dezember 2011.