Es war ein heißer Herbst für Nina Poláková und wird auch ein warmer Winter. Heiß sind auch die Spitzenschuhe an den schmerzenden Füßen der Ersten Solotänzerin des Wiener Staatsballetts – getanzt werden muss bis sie sich als unglückliche Julia ins Herz sticht. Am Nachmittag steht „Mayerling“ von Kenneth MacMillan auf dem Probenplan. Kronprinz Rudolf hält Mary Vetsera die Pistole an die Schläfe. Abgedrückt wird erst auf der Bühne.
Die Rolle der letzten Geliebten des Thronfolgers im Ballett „Mayerling“ mag sie, wie Poláková alle dramatischen Rollen liebt. „Wenn es besonders traurig ist, muss ich aufpassen, dass ich nicht auf der Bühne weine“, sagt sie und lacht dabei. Um die Konzentration nicht zu verlieren, darf sie sich nicht von Gefühlen weggeschwemmen lassen. Das kann auch ohne direkt erzählte Geschichte passieren. Zum Beispiel in ihrem Pas de deux zum Lied „Beim Schlafengehen“ aus Rudi van Dantzigs Choreografie von „Vier letzte Lieder“ (Richard Strauß). Den tanzt die Poláková mit Roman Lazik und es ist nicht zu übersehen, dass der Erste Solotänzer zu ihren Lieblingspartnern zählt. Überraschend ist das nicht, kommt doch Lazik ebenfalls aus der Slowakei. Die Unterhaltung in der Muttersprache und die gleiche Ausbildung am Tanzkonservatorium von Bratislava bilden eine feste Basis für ein harmonisches Paar.
Auf der Bühne. Im Privatleben wird weniger dem Tanz gehuldigt, als dem Lebensgenuss.
Punschtorte und Rosen. „Mein Mann kocht gerne, so gut wie ein Haubenkoch“, schwärmt die Ballerina und setzt, als gelernte Wienerin, verschmitzt hinzu: „Er ist ein Burgenländer.“ Sie selbst, in Trnava aufgewachsen, nennt sich „eine Süße.“ Punschtorte und Tiramisu schätzt sie und lacht fröhlich, wenn vermutet wird, Tänzerinnen müssten mehr hungern als essen: „Schon als Kind hat es immer geheißen, du bist zu dünn, iss ordentlich. Und jetzt brauche ich meine Energien, meine Kraft. Süßes ist ein solcher Energiespender.“
Nina Poláková ist eine glückliche Romantikerin, voll warmherzigem Optimismus, meistens heiter und auch romantisch. Sie schwärmt nicht nur vom Burgenland und dem Garten dort, in dem vor allem biologisches Gemüse gepflanzt wird, aber auch Tulpen im Frühjahr und Rosen im Sommer. Begeistert ist sie von den Bergen und den wohlriechenden Freesien und von ihrer Familie: „Mit der bin ich sehr eng und es ist angenehm, dass Trnava nicht weit von Wien ist.“ Ebenso munter sprudelt Lob über den Direktor und die Kollegen: „Wir haben so großartige Burschen hier, hervorragende Tänzer und so liebe Menschen.“ Ballettdirektor Manuel Legris schätzt sie nicht nur als „wunderbaren Lehrer“ sondern auch, weil er ihr die Sorgen um die Zukunft nimmt: „Er ist gerade 50 geworden und noch immer ein Spitzentänzer.“ Gerne würde sie aber später weitergeben, was die gelernt hat. „Ich glaube, das kann ich.“ Noch ist Nina Poláková keine 30, Zeit genug für „Manon“, „Julia“ oder „Tatjana“ und auch für neue Ballette wie Natalia Horecnas „Contra Clockwise Witnesss“ oder William Forsythes „The Second Detail“ (im Rahmen des dreiteiligen Abends „Ballett-Hommage“ im Dezember).
Aktuell muss für den Auftritt in der Hofburg geprobt werden. Die Gräfin Larisch, eine Ehemalige des Kronprinzen Rudolf, Sohn von Kaiser Franz Josef und seiner Gattin Elisabeth, hat die 17jährige Mary auserkoren, dem nach einer Syphiliserkrankung heroinsüchtigen Thronfolger seine erotischen Wünsche zu erfüllen. Das endete, wie man weiß, für das junge Mädchen tödlich. Für Poláková ist die Rolle vor allem anstrengend. Rudolf ist stürmisch und verlangt Spitzentanz samt aberwitziger Akrobatik im sinnlichen Pas de deux. Schließlich den Tod von Mary. „Der ist ein wenig verrückt“, meint Poláková über Rudolf und sieht in der Rolle eine echte Herausforderung, „doch die Person, die bin ich nicht. Die muss ich spielen.“ Die Rolle der Mary ist für sie ebenso neu wie der Partner. Gregor Hatala, der schon nach der Wiener Premiere 2008 (mit Robert Tewsley als Gast) den Rudolf getanzt hat, wird ihn bald zum letzten Mal tanzen. Dem beliebten Wiener Solotänzer ist die Vorstellung am 7. Dezember „in Anerkennung und Würdigung der hervorragenden Leistungen“ zum Abschied gewidmet. Nach 25 Jahren wird Hatala der Staatsopernbühne „Ade“ sagen. Quasi als Gegenpol wartet die erste Vorstellung am 29. November mit einem Debüt auf: Roman Lazik tanzt den Kronprinzen zum ersten Mal. Seine Partnerin, Irina Tsymbal, hat bereits bei der Wiener Premiere mit Tewsley gezeigt, wie vorbehaltlos sie sich in eine Rolle hineinfallen lassen kann.
Wartezeit für Wien. Die Uraufführung der von MacMillan ganz auf das Innenleben des todessehnsüchtigen Kronprinzen fokussierten fand in London statt. 1978. Noch heute steht das in nahezu drei Stunden wie ein Film in dramatischen, intimen und humorvollen Szenen abrollende Ballett im Repertoire des Royal Ballet.
Die Liste der Mitwirkenden ist lang – allein sechs Damen lockt der melancholische Rudolf in sein Bett – und durch das reichlich antanzende Personal ist die Geschichte etwas kompliziert geraten. Glücklicherweise ist sie im Geschichtsbuch leicht nachzulesen ist. Dazu passt die aufwändige die Ausstattung von Nicholas Georgiadis. Ein Grund, warum sämtliche Wiener Ballettdirektoren verzichteten, das neoklassische Meisterwerk dorthin zu holen, wo es zu Hause ist. Erst 30 Jahre nach der Uraufführung wagte es Gyula Harangozó, Manuel Legris’ Vorgänger, „Mayerling“ samt Hofburg, zwielichtigem Etablissement und Jagdschloss, auf die Bühne zu bringen. Da war das Ballett längst in Budapest ein Erfolg und der Schöpfer bereits tot. Sir Kenneth MacMillan ist gestorben, wie es sich ein Theatermensch nur wünschen kann, zwar nicht auf, doch hinter der Bühne. Während einer Vorstellung von „Mayerling“, die mit einem Begräbnis beginnt und mit dem doppelten Tod endet. Am 29. Oktober 1989 war es ein dreifacher. Ohne Sentimentalität betrachtet – ein schöner.
„Mayerling“ Ballett von Sir Kenneth MacMillan, Musik: Franz Liszt, eingerichtet von John Lanchbery. Premiere am 29. November 2014 mit Roman Lazik und Irina Tsymbal.
Abschiedsvorstellung von Gregor Hatala mit Nina Poláková als Mary Vetsera am 7. Dezember 2014.
Ballett-Hommage (William Forsythe, Natalia Horecna, Harald Lander) mit Nina Poláková, erste Vorstellung der Serie am 11. Dezember 2014. Alle Vorstellungen: Wiener Staatsoper
Eine gekürzte Version des Porträts ist am 28.11. 2014 im Schaufenster der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.