„Am Theater darf man alles machen – nur fade darf es nicht sein!“, sagt Peter Breuer, der bis 1988 zu den Topsolisten der internationalen Ballettszene gehörte. Die kometenhafte Karriere des heute 70-jährigen begann schon als Teenager an der Bayerischen Staatsoper. Nun sind erstmals zwei seiner Ballette im Deutschen Theater in München zu sehen: „Mythos Coco“ und „Ballett’n’Blues“.
1964 wechselte der in Teegernsee geborene Münchner an die Deutsche Oper am Rhein, avancierte zum Ersten Solisten und schloss sich 1974 fest dem London Festival Ballet an. Seit 1991 leitet Peter Breuer die Tanzsparte am Salzburger Landestheater. Dort konnte er mit abendfüllenden Erzählballetten eine neue Tradition begründen.
Ihre künstlerische Heimat ist seit 26 Jahren Salzburg, Herr Breuer. Aber zuhause fühlen Sie sich immer noch in München. Nun geht ein Wunsch in Erfüllung: Ihr Salzburg Ballett gastiert erstmals an der Isar.BREUER: Darauf habe ich wahnsinnig lange hingearbeitet. Wir touren viel, aber in meiner Heimatstadt waren wir noch nie. Ein Agent hat sich an das Gastspiel nicht getraut. Aber das war mir wurscht. „Wenn ich es jetzt nicht mache, wird womöglich nie mehr was draus“, dachte ich und bin letztes Jahr zu Carmen Bayer ins Deutsche Theater gegangen. Ihr Partner der Geschäftsführung, Werner Steer, hat mein „Ballett’n’Blues“ schon in Schweinfurt erlebt.
Welchen Bezug haben Sie zum Deutschen Theater?Hier hatte ich als Jungspund mit der Ballettschule Roleff-King meinen allerersten Auftritt. Also: „back to the roots“… Ich war relativ groß und lief als Kind mit gebeugten Knien rum – was mein Vater furchtbar fand. Meiner komischen Haltung wegen schickte er mich ins Ballett. Zwei Monaten später wollte ich Profitänzer werden.
Ihr Vater war der Pianist und Dirigent Peter Bruno Breuer. Wie reagierte er darauf?Der hätte lieber gesehen, ich wäre Archäologe oder Arzt geworden. Auch weil er selbst so negative Erfahrungen gemacht hatte. Er war gegen das Regime und wollte nicht für Nazi-Größen spielen. Da haben sie ihm die Hand zertreten. Dabei galt er als pianistisches Wunderkind. Er sagte: „Wenn du das wirklich willst, musst du ganz nach oben kommen. Dann unterstütze ich dich.“ Mit 15 Jahren habe ich in der Oper mittrainiert, worauf mir Heinz Rosen einen Vertrag anbot – als jüngster Gruppentänzer.
Seit ihrem Bühnenabschied mit Natalia Makarova in „Onegin“ am Münchner Nationaltheater haben sie eine ganze Latte Abendfüller choreografiert. Wie trifft man da die richtige Stückauswahl?„Mythos Coco“ und „Ballett’n’Blues“ haben sich das Deutsche Theater ausgesucht, weil es Kontraststücke sind. Das Coco-Ballett – eine Deutschlandpremiere unter anderem zu Musik der Groupe de Six – ist aufwendiger, klassischer und auf Spitze. Mein Bestreben war, nicht nur die tragisch-schillernde Lebens- und männergeprägte Aufstiegsgeschichte von Chanel zu erzählen, sondern auch das künstlerische Umfeld, die Bühnenstars, Maler und Musiker, denen sie in Paris begegnet ist, und natürlich ihre seelischen Zustände mit einzubeziehen. Schwierig war, einen guten Schluss zu finden. Sie starb ja undramatisch normal. Man kann diese Frauenfigur jedoch nicht mit einer einzigen Person erzählen. Deswegen habe ich zuerst eine junge Coco. Sie wird von Mme Chanel abgelöst. Zum Ende hin tritt meine dritte Protagonistin ins Spiel – die Handlung entwickelt sich freier. Letztes Jahr hatten wir damit unerwartet großen Erfolg. Es kamen nicht nur die Chanel-Jackerl-Besitzer (wie von mir erwartet), sondern auch viele Junge, die an der Figur Interesse zeigten. Unser „Blues“-Abend ist fetziger und war immer ein Renner – schon dadurch, dass wir mit Al Cook, der österreichischen Legende des echten Mississippi-Blues und seinen beiden Musikern auftreten.
Wie kam es dazu?Die Liebe zum Blues habe ich von meinem Vater. Nach dem Krieg spielte er viel im Schwabinger Jazzclub „domicile“. Ich bin da oft neben den Drums eingeschlafen. Beim Geburtstag eines Freundes traf ich dann Al Cook, die Wiener Blues-Größe schlechthin. Meiner Idee, Seele und Musik des Blues zu vertanzen, stand er anfangs skeptisch gegenüber. Doch als die Tänzer bei der ersten Probe loslegten, ging er voll mit. Seine Songs tragen einen Großteil des Geschehens und die Band tritt auch mit den Interpreten in Dialog.
Wovon handelt „Ballett’n’Blues“?Es geht um die legendenbehaftete Geschichte des Blues-Gitarristen Robert Johnson. Einen Jungen, der seine Seele dem Teufel verkauft – ähnlich wie in Walter Hills Roadmovie „Crossroads – Pakt mit dem Teufel“ von 1986. Und ein bisschen auch um den Hardliner Al Cook, Jahrgang 1945, der noch niemals in Amerika war. Der Joe „Lemon“ Jackson in meiner Story begegnet an einer Kreuzung dem teuflischen Louis. Der verspricht ihm eine steile Karriere als Popstar. Joe aber lehnt ab, noch bevor Cooks schräge Metallgitarrenversion von „Stille Nacht, heilige Nacht“ als Antwort auf Hubert von Goiserns irren „Kokain-Blues“ ihn endgültig dazu bewegt, sich loszusagen. Auf der Suche nach seinem eigenen Stil reist er um die Welt. Musikalisch schlägt sich das in einem Kaleidoskop aus brasilianischem und einem Russen-Blues oder den Blues-Brothers für Amerika nieder.
„Mythos Coco“ und „Ballett’n’Blues“ sind zwei Großproduktionen. Opfert die 16-köpfige Kompanie dafür ihre Ferien?Wir haben seit Mitte Juni Sommerpause. Ich habe mit dem Ensemble vorgearbeitet, seit Ende Juli sind die Mitglieder zurück. Sieben, acht Wochen Urlaub ist für Tänzer sowieso zu lang. Alles in allem würden sie – zusammengezählt – drei Jahre ihres kurzen Berufslebens verlieren. Ich selbst habe nie mehr als zwei, drei Wochen pausiert.
Ihre Stücke sind ein Garant für große Gefühlsmomente. Warum sind Sie Choreograf geworden?Ich habe an unzähligen Gala-Abenden mitgewirkt und war es leid, immer dieselben Tschaikowsky-Pas de deux tanzen zu müssen. Stattdessen habe ich 1982 ein Duo kreiert. Das hat mir, wider Erwarten, irrsinnigen Spaß bereitet. Ein Zufall, aber so hat es mich gepackt. Auf Rachmaninows „Opus 19“ für München (mit Youri Vámos, Joyce Cuoco, Helene Underwood und mir) folgte der erste große Abend: „Der Gottgeliebte“, ein Mozartballett – ausgestattet von Pet Halmen. 35 Minuten sollten es werden – am Ende waren es 80. Der Drang nach neuen Herausforderungen und die Lust auf neue Themen ist mir wohl geblieben.
Ballett des Salzburger Landestheaters, „Mythos Coco“ (9., 10.8.) und „Ballett’n’Blues“ (11.,12.8.), Deutsches Theater München