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Cherkauoi1Im noch währenden Jubiläumsjahr präsentieren Johann Strauss 2025, Impulstanz und das TQW erstmals „Imperial Ball“ von Sidi Larbi Cherkaoui in Wien. Der berühmte und mehrfach ausgezeichnete Choreograph im Gespräch über Tanz als Therapie, Ballett und Popstar Madonna. Noch nichts verriet er über seine Pläne mit dem Festspielhaus St. Pölten im Jahr 2027. Aber soviel kann man schon sagen: It’s gonna be big.

Nach der Uraufführung in Genf ist das Auftragswerk „Imperial Ball“ zum Johann Strauss-Jahr nun im MQ Wien zu sehen, getanzt vom Ballet du Grand Théâtre de Genève. Die Musik wählte Cherkaoui gemeinsam mit Constantin Trinks aus, der das Wiener KammerOrchester dirigieren wird. Konterkariert werden die Klänge Strauss‘ durch die Taiko-Perkussion von Tsubasa Hori und Shogo Yoshii, begleitet von der Stimme von Kazutomi „Tsuki“ Kozuki. Bühne und Kostüme gestaltete der mit einem Oscar prämierte Szenograph Tim Yip. Trinks

Tanz.at: Sie haben einmal gesagt, Tanz habe Ihr Leben gerettet. Wie meinen Sie das?

Sidi Larbi Cherkaoui: Ich war ein sensibles und kränkliches Kind, und als Jugendlicher habe ich mich oft unsicher gefühlt. Ich hatte oft das Gefühl, von einem anderen Planeten zu kommen und Kunst hat mir geholfen, mich zu erden. Zuerst durch das Zeichnen, und dann entdeckte ich das Tanzen für mich. So konnte mein Körper endlich mit all dem umgehen, was auf mich einströmte, denn ich war sehr kopfgesteuert. Indem ich tanzte, konnte ich alles verarbeiten, auch meinen komplexen familiären Background. So gesehen hat der Tanz mein Leben gerettet, ja. 

                               Ihr Vater war ein nach Belgien emigrierter Marokkaner, und ihre Mutter stammt aus Flandern in Belgien. Sie beantworten die Frage nach ihrer Identität nicht gern, ich weiß. 

Ich fühle das Marokkanische und das Flämische gleich stark in mir. Ich würde sagen, meine weibliche Seite ist flämisch und die männliche ist marokkanisch. Auch fühle ich eine starke Verbundenheit zu meinen Vorfahren. Und es war nicht leicht für mich aufzuwachsen zwischen diesen Polen, auch durch mein Schwulsein. Tanzen hat mir ermöglicht, mich ständig zu verwandeln, wie ein Chamäleon.

Wie haben Sie es gelernt?

Zuerst autodidaktisch, aus dem Fernsehen. Dann habe ich Martial Arts betrieben. Bruce Lee etwa fand ich toll, denn mir haben Leute gefallen, die ohne Angst grenzwertige Dinge gemacht haben. Das waren in Marokko großartige Straßentänzer, oder in der europäischen Kunst jemand wie Kate Bush, die sehr speziell gesungen und gleichzeitig getanzt hat, sehr mystisch und irgendwie fremdartig. Das hat mir gefallen. Natürlich liebte ich auch Madonna. Dann habe ich Unterricht genommen in Klassischem Tanz, Jazz, Hip Hop, Flamenco, irgendwie von allem etwas. Durch Pina Bausch eigentlich habe ich den Contemporary Dance kennengelernt. Da war ich sehr beeindruckt und wusste, so etwas will ich auch machen. Mein Ausbildungsweg brachte mich dann zu  Anne Teresa De Keersmaekers Schule PARTS, und dann habe ich mit Alain Platel gearbeitet, einem meiner wesentlichsten Lehrer. 2010 habe ich meine eigene Company East Man gegründet und bekam auch Anfragen von Ballettcompnanies, wie dem Genfer Ballett. 2015 habe ich das Ballett Flandern übernommen, und dieses mehr zeitgenössisch auszurichten, war eine spannende Aufgabe. 

IMperialBall56Was ist denn ihre derzeit bevorzugte Tanzsprache?

Tango. Ich denke, Tango bedeutet, nicht nur mit, sondern für die andere Person zu tanzen. Dieser Tanz funktioniert nur, wenn man miteinander tanzt. Ich liebe den argentinischen Tango und bewundere diese Technik. Aber ich liebe auch Shaolin, die Martial Arts, auch wenn das nicht eigentlich Tanz ist, aber diese eleganten, intelligenten Bewegunslinien begeistern und faszinieren mich. Beide Systeme bringe ich in meine eigenen Choreographien ein. 

Spielt auch die klassische Technik eine Rolle?

Ich liebe das Ballett. Besonders schätze ich extreme, intensive Tänzer*innen wie Sylvie Guillem oder Friedemann Vogel. Die beiden schaffen unglaubliche Linien. Dennoch meine ich, dass die klassische Technik den persönlichen Ausdruck oft verhindert, weil diese Tanzform sehr geschlechtsbezogen ist. Frauen machen dies, Männer das. Persönlich mag ich oft die weiblichen Bewegungen lieber, auch im Tango. Ich bevorzuge daher eher die Flexibilität des Contemporary Dance, das ist mehr genderless, oder meinetwegen auch demokratischer. Aber andererseits schätze ich das Waganowa-System als faszinierend und logisch, jedoch ist das nicht die universale Sprache im Tanz, als die sie sich gibt. Sie hat einen sehr spezifischen Ursprung.

Doch auch in Japan oder China ist europäisch-klassisches Ballett sehr beliebt und gilt als erstrebenswert, und viele Tänzer*innen auf internationalen Bühnen stammen von dort.

Das verhält sich ähnlich wie mit Johann Strauss, den auch in Asien viele lieben. Asiat*innen sind besonders interessiert daran, sich zu assimilieren. Aber das hat nichts zu tun mit Kopismus, wie oft unterstellt wird, sondern sogar mit einem seit langem bestehenden, tieferen Verständnis für die dort praktizierten physisch-tänzerischen Kunstformen. Wir im Westen sind da eher oberflächlich unterwegs, bleiben zu sehr auf der körperlichen Ebene und legen kaum Wert auf philosophische Gedanken. Im Ballett arbeiten wir mit dem Schmerz, um etwas zu sein, was wir nicht sind. Ich war selbst so, als ich jung war, und war immer frustriert, nicht genug zu können. Heute sehe das alles anders und versuche, viel organischer zu kreieren. Alles soll im Fluss sein. Nichtsdestotrotz arbeite ich viel mit Tänzer*innen, die klassisch geschult sind, das ganze System umgibt uns ja ständig. 

IMperialBall35Kann ein klassisch trainierter Körper nicht alles tanzen?

Nein, man lernt etwa nicht, sich am Kopf zu drehen. Oder auf den Ellbogen und Knien. Ballett lehrt, die Balance auf den Beinen zu halten, richtig zu drehen, den Rhythmus zu verstehen, zu springen. Aber Yoga oder Martial Arts bringen uns andere Gewichtsverteilungen bei. Wenn ich mit Top-Tänzer*innen des Balletts gearbeitet habe, musste ich denen sogar manches beibringen. Außerdem gibt es viele Balletttechniken, und auch Modern Dance, Horton Technique oder Graham Technique bieten eine solide Basis. Es muß die Vielfalt geben, nicht die Einschränkung. Tradition verhindert oft die Transformation. Richtig gute Tänzer*innen sind kontroversiell, wie zum Beispiel William Forsythe. Doch auch er wurde beeinflusst, von Pina Bausch etwa. Aber es ist ja grundsätzlich so, dass wir dauernd geprägt und beeinflusst werden, und das ist auch gut so. Mein großartiger Lehrer Alain Platel hat mir nie eine Bewegung gezeigt, sondern mich gelehrt, wie ich die Bewegung finde. Das möchte ich auch weitergeben. Und auch das Ballett muss sich weiterentwickeln, damit es nicht verschwindet.IMperialBall50

Sie arbeiten sehr theatral und mit Formen, die weit über Tanz hinausgehen. Wie sehen Sie selbst Ihre Arbeit?

Musik, Tanz und Theater sind meine drei großen Lieben. Für mich macht es auch keinen Sinn, zu unterschieden. Außerdem geht es im Leben immer um Bewegung, um Anordnung von Bewegung, alles ist irgendwie Tanz. 

IMperialBall33Ihre Arbeit „Imperial Ball“ vereint zutiefst österreichische kulturelle Themen, wie Walzer und Ballfeste. Was wussten Sie über Österreich zuvor?

Nicht viel, ich kannte Sissi und Romy Schneider. Ich wusste auch nichts von der Verschränkung Österreichs mit den Nazis, entsprechend jener Deutschlands. Als ich dann erstmals zum Festival Impulstanz kam, war ich sehr beeindruckt durch diese große Bandbreite des Angebots. 

Und die Musik von Johann Strauss?IMperialBall30

Die kenne ich natürlich seit der Kindheit. Mir gefällt, dass es Musik für Bälle ist und nicht Ballettmusik, also das Publikum muss tanzen und nicht den Tänzer*innen auf der Bühne dabei zusehen. Und dann ist die Musik sehr unterschiedlich in den Stimmungen und Nuancen, sehr ambivalent. Sie kann heilen ebenso wie zukleistern und ist ebenso schön wie abgründig. Mit dieser Musik, die ich gemeinsam mit Constantin Trinks ausgewählt hatte, musste ich anders arbeiten als sonst. Das war sehr fordernd für mich und hat mir großen Spaß gemacht. 

IMperialBall49Der Donauwalzer kommt auch vor?

Ja, das musste sein. Es geht ja um den Fluss, das gefällt mir. Dann haben wir auch „Rosen aus dem Süden“, wunderschön. Manchmal verwende ich die Walzer auch ironisch, denn wir befinden uns im Ballsaal, wo alles vergoldet ist. Doch das hat seinen Preis, denn draußen ist die Armut, die Schattenseite unseres Reichtums. Dieser Gegensatz interessiert mich besonders. Arm und reich, Männer und Frauen, Krieg und Ball. So tun als ob, und dann die Wirklichkeit erkennen. Alles transformiert sich hier ständig in das jeweils Andere. 

Wir müssen natürlich noch über Madonna sprechen, für die Sie, wie auch für andere Popstars, choreografiert haben. Viele wissen ja nicht, dass sie auch eine Tanzausbildung bei der Alvin Ailey Dance Company gemacht hat und wirklich tanzen kann.Cherkauoi2

Damien Chalet hatte mich vorgeschlagen, und ich habe für ihre „Celebration Tour“ den Song „Like a Prayer“ choreografiert. Ich mag diesen Song schon seit langem, weil ich ja ein großer Fan von Madonna war und bin. Sie ist eine sehr starke Frau, die immer gekämpft hat für Schwächere. Sie ist klug, hört genau zu und sagt direkt und ehrlich, was sie denkt. Ihre künstlerischen Standards sind hoch. Dabei ist sie auch sehr großzügig und unterstützt viele Charity Projekte. 

Was bedeutet eigentlich der Name Ihrer Company „East Man“?

Das ist die Übersetzung meines Namens: der Mann aus dem Osten. Da, wo die Sonne aufgeht.

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