Am 20. und 21. September heißt es im Festspielhaus St. Pölten wieder „Sadler’s Wells presents“. Diesmal bringt das renommierte Londoner Tanzhaus Sidi Larbi Cherkaouis Erfolgsproduktion „Sutra“ mit 17 Shaolin-Mönchen sowie das chinesische TAO Dance Theatre mit. Auch beim großen Tanz- und Musik-Community-Projekt dieser Saison arbeiten die beiden Häuser eng zusammen. Doch bei aller Gemeinsamkeit gibt es auch jede Menge Unterschiede, erklärt Sadler’s Wells-Direktor Alistair Spalding im Gespräch.
Das traditionsreiche Sadler’s Wells Theatre ist seit Jahrzehnten immer eine erste Adresse für Tanz. Unter der Leitung von Alistair Spalding (seit 2004) wandelte sich das Mehrspartenhaus jedoch in ein reines Tanzhaus. „Ich verstehe das Wort Tanz dabei sehr umfassend”, sagt Spalding. „Bei uns gibt es nicht nur zeitgenössische, sondern auch populäre Arbeiten, alle Stile, auch Ballett, Hip Hop , Flamenco und Folklore – solange die Qualität stimmt und es in irgendeiner Form innovativ und nicht rein traditionell ist.”
Außerdem mutierte das Sadler’s Wells unter Spalding von einem reinen Gastspielbetrieb zu einem Koproduktionshaus, das mit den renommiertesten zeitgenössischen Choreografen zusammenarbeitet. Zu den zwölf „associated artists“ zählen Sidi Larbi Chrekaoui, Sylvie Guillem, Akram Khan, Russel Maliphant, Wayne McGregor | Random Dance, Matthew Bournes New Adventures und die Hip Hop Formation ZooNation Dance Company von Kate Prince.
Spalding bindet jedoch nicht nur arrivierte Künstler an sein Haus, sondern lanciert auch neue Entdeckungen wie den israelischen Choreografen Hofesh Shechter. Sieht er sich als Talentscout? „Ja, aber ich bin ein Talentscout mit einem Theater mit 1500 Plätzen. Ich suche also nicht jemanden, der im Studio herumprobiert. Da muss es das Potenzial für große Arbeiten geben, die ein großes Publikum anziehen. Und bei Hofesh konnte man dieses Potenzial gleich sehen. Man sah, dass er ein Choreograf im altmodischen Sinn ist, dass er an großen, raumgreifenden Bewegungen interessiert ist.“
Partnerschaften. Viele der genannten Choreografen sind seit einigen Jahren auch immer wieder im Festspielhaus St. Pölten zu Gast, denn: „Wenn wir Arbeiten produzieren, dann verfolgen wir auch eine intensive Tourneemöglichkeiten und wir bringen eine ziemliche große Anzahl an Vorstellungen zu Theatern wie St. Pölten“, erklärt Spalding. Zu seinen wichtigsten, ständigen Partnern gehören auch das Grand Théatre de Luxembourg, das Esplanade in Singapure, das Chaillot sowie das Théatre de la Ville in Paris.
In Bezug auf die Zusammenarbeit mit „seinen“ Künstlern ist Sadler’s Wells sehr flexibel. Es kann sich dabei um Residenzen handeln. Künstler können im Haus arbeitet, sofern eines der drei Probestudios frei ist. Andere haben ihre Büros im Theater. Die Assoziation kann exklusiv sein wie beispielsweise mit Russel Maliphant – alle seine Stücke werden vom Sadler’s Wells produziert und betreut – oder gelegentlich wie bei Sidi Larbi Cherkaoui. Wayne McGregor hat hingegen seine eigene Management-Struktur und Sadler’s Wells unterstützt neue Arbeiten. Das Theater vergibt aber auch Choreografie-Aufträge zu einem Thema wie etwa „The Spirit of Diaghilev“. Ausschnitte daraus waren beim ersten „Sadler’s Wells presents“ in St. Pölten zu sehen.
Die Idee des „Sadler’s Wells presents“-Programms entstand aus den „Samples“, einer Art Musterkatalog des Programms. „Wir brachten am Anfang jeder Saison an einem Abend Beispiele von zeitgenössischen Arbeiten, aber auch von Ballett, Hip Hop und Flamenco, von allem, was wir tun. Damit fördern wir sowohl verschiedene Stile und als auch die Publikumsentwicklung. Für 10 Pfund (ca 12 Euro) bekommen die Zuschauer eine Fülle von Eindrücken und es ist eine gute Balance, denn die Stücke sind sehr stark, etwa von Sidi Larbi Cherkaoui oder Russel Maliphant. Das wollen wir vermehrt auch in Großbritannien auf Tournee bringen. Übrigens haben wir in St. Pölten das Label ‚Sadler’s Wells presents’ erstmals außerhalb unseres Londoner Hauses verwendet.“
Die enge Zusammenarbeit mit dem Festspielhaus St. Pölten führt Spalding auch auf die gute persönliche Beziehung, die er mit dessen künstlerischem Leiter Joachim Schlömer hat, zurück. „Er hat ‚Sadler’s Wells presents’ eingeladen, und auch viele unserer assoziierten Künstler“, freut sich der gar nicht kühle Brite.
Kunst und Kommerz. Dass in St. Pölten nur ein Teil des Sadler’s Wells-Spektrums zu sehen ist, nämlich der zeitgenössische Tanz, liege wohl an Schlömers künstlerischer Mission und an der unterschiedlichen finanziellen Situation, meint Spalding. Denn während das Budget des Festspielhaus St. Pölten zu 80 Prozent aus öffentlichen Förderungen besteht, liegt der Subventionsanteil im Londoner Haus bei 14 Prozent. „Einerseits ist das ein Problem“, räumt Spalding ein, „andererseits haben wir dadurch die Möglichkeit, ein viel breiteres Spektrum anzubieten, das uns ein wirklich großes Publikum bringt. Darauf zielt ein Teil unseres Programms ganz dezidiert ab. Es stört mich nicht, dass das sogar für Großbritannien ein ungewöhnliches Modell ist. Normalerweise hat man entweder das ‚Kunsthaus’ oder das ‚Kommerzhaus’. Wir haben beides. Und das erlaubt es dem Publikum überzuwechseln. Einige, die vielleicht Matthew Bourne gesehen haben, kommen das nächste Mal zu einer Aufführung der Rambert Company oder von Wayne McGregor. Alles ist Kunst, aber das eine ist leichter zugänglich als das andere.“
Doch wie überlebt ein Theater mit einem hohen künstlerischen Anspruch und nur 14 Prozent Subvention? „Das ist eigentlich ziemlich einfach. Es gibt bei uns drei Dinge, die Geld machen: die Weihnachtsshow, die Sommershow – das sind meist Musicals, und das Peacock Theatre im Londoner Westend. Das Peacock mit 1000 Plätzen ist ein kommerzielles Theater. Was wir dort programmieren, sollte Geld produzieren und ein breites Publikum ansprechen. Die Preise sind dabei nicht so hoch. Wir verlangen zwischen 12 und 48 Pfund pro Ticket, aber die Shows haben lange Laufzeiten. Das sind also die Bereiche, die Geld machen und das ist unsere Subvention – aber wir haben sie selbst erwirtschaftet. Den Rest des Jahres verlieren wir Geld“, lacht Spalding. „Ich mag das, denn es gibt uns die Freiheit zu tun, was wir für richtig halten. Wenn wir ein merkwürdiges, konzeptuelles Stück im Studiotheater zeigen wollen, machen wir es einfach. Es ist keine schlechte Situation. Obwohl – einfach ist es auch nicht, besonders auf der kommerziellen Seite. Man muss die richtige Show erwischen, denn, wie wir alle wissen, kann man mit kommerziellen Produktionen auch sehr viel Geld verlieren.“
Konzepttanz. Der vielseitige Direktor ist also auch für den Konzepttanz offen? „Ja, ich mag die konzeptuelle Ebene und ich kann es vor allem in unserem kleineren Raum, dem Lilian Bayliss Theater programmieren, das sich für Leute wie Jerome Bel, die aufgehört haben zu tanzen, sehr gut eignet. Dass der Konzepttanz in Großbritannien nicht so stark vertreten ist wie in Kontinentaleuropa mag daran liegen, dass wir uns irgendwo zwischen der europäischen und amerikanischen Tradition befinden, und die amerikanische Tradition eher sehr tänzerisch ist – auch wenn das eine grobe Vereinfachung ist. Ich glaube, dass das Tanzen wiederkommt – es gibt diesen Trend. Ich bin immer noch sehr am Handwerk der Bewegungsschrift interessiert. Aber, wenn jemand sich Choreograf nennt und einen Tanz-Background hat wie Jerome Bel, dann stellen wir seine Arbeit vor, was immer er auch tut. In gewisser Weise werden wir ja von den Künstlern geführt und unsere Hauptaufgabe ist es, den Trends zu folgen. Ob wir wieder zur Bewegung als Hauptthema zurückkehren, werden wir sehen. Es ist nicht mein Job, das zu beurteilen.
Dennoch: wir experimentieren nicht mit unserem Publikum. Wenn wir etwas mit Jerome Bel machen, dann weil er sehr gut ist, in dem was er tut. Meiner Meinung nach ist er der beste Denker. Wir wählen aus, wir sind elitär. Wir suchen das Beste in jeder Form und präsentieren das.”
Im Herbst starten in St. Pölten auch die Proben zu „alles bewegt“, dem großen Community Tanz- und Musikprojekt, das nach dem Vorbild und in Zusammenarbeit mit dem Londoner Haus entsteht (Uraufführung am 11. Mai). Die gemeinsame künstlerische Leitung liegt bei Joachim Schlömer und Jane Hackett, die als Leiterin der „Creative Learning“-Abteilung am Sadler’s Wells zusammen mit Alistair Spalding das Konzept von Community Dance auf eine neue künstlerische Ebene gehoben hat. Spalding ist dieser Bereich ein besonderes Anliegen: „Wir haben als Tanzhaus ein internationales Profil, aber wir sind auch in Islington, und das ist ein Platz mit einer ganz besonderen Ausgangssituation. Hier leben sowohl die reichsten als auch die ärmsten Menschen in London. Und wir wollen uns für alle Menschen hier engagieren, dass sie zu uns kommen oder dass sie ermutigt werden zu uns zu kommen. Das ist manchmal ganz schön schwierig. Mit billigen Eintrittskarten funktioniert das nicht – sie werden trotzdem nicht kommen. Es ist daher wichtig zu ihnen zu gehen, wie wir es machen, sodass wir hier verwurzelt sind. Unser Vermittlungsprogramm geht durch alle Generationen, wir beginnen mit den ganz Jungen in der Schule bis hin zu den ganz Alten in der Company of Elders.
Großbritannien hat eine sehr starke Tradition im Community Arts besonders in Tanz. Es hilft zweifelsohne dabei, das Publikum für die Zukunft zu entwickeln. Wenn Menschen eine frühe Erfahrung mit dem Theater haben, werden sie zurückkommen – auch wenn sie als Teenager wegbleiben. Die erste Erfahrung ist wichtig ebenso wie der Blick in die Zukunft.
Sehr oft wird die Community Arbeit als Nebensache gesehen, aber meiner Meinung nach sollte sie wie die anderen Produktionen behandelt werden, in derselben Broschüre vorgestellt und auf derselben Bühne aufgeführt werden. Darstellende Kunst zu machen, bedeutet nicht nur Workshops und Klassen zu besuchen, sondern auch auf die Bühne zu gehen, vor einem Publikum aufzutreten und wir wollen diese Gelegenheit bieten und versuchen dieselbe Qualität wie bei den anderen Produktionen zu erreichen. Es ist sehr wichtig, dass dieses Modell wahrgenommen wird und wir es nach St. Pölten bringen können und, so hoffe ich, auch an andere Orte.“
Saisoneröffnung im Festspielhaus St. Pölten mit „Sadlers Wells presents Sidi Larbi Cherkaoui: Sutra“, 21. und 22. September, 19.30h im Großen Saal, anschließend in der Box: „Sadler's Wells presents TAO Dance Theatre: Weight x3“