Kaum zu Glauben. Stephanie Cumming ist schon zwei Jahre in Wien und noch niemand ist auf sie aufmerksam geworden. Doch dann, 2003, ist sie bei Chris Haring angedockt und damit war der Bann gebrochen. Nachdem sie ihren Körper als „Legal Errorist“ in der Choreografie von Chris Haring (aus der Serie „Diese Körper, diese Spielverderber…“) auf der Bühne präsentiert hat, war Stephanie Cumming angekommen in Wien. Jetzt bereichert die von Mara Mattuschka filmisch festgehaltene Performance die Sammlung Centre Georges Pompidou in Paris. Die Kanadierin mit dem kupferfarbenen Haar ist weit über die Wiener Tanzszene hinaus ein Begriff.
Neuerdings kennen auch Cineasten die Performerin, ist sie doch in Gustav Deutschs aufwändigem Kunstfilm „Shirley, Visions of Reality“ die Schauspielerin Shirley, die lebendig gewordene Figur aus Edward Hoppers Bildern. Wie alles, was Stephanie Cumming in Angriff nimmt, war sie auch am Filmset mit vollem Einsatz an der Arbeit. „Ich habe mich gar nicht darum gerissen, ich bin keine Selbstdarstellerin, aber wenn man mich fragt, dann sage ich gerne ja. Gustav Deutsch hat mich über Vera Mattuschka kennen gelernt und für diesen Film war wirklich eine Tänzerin notwendig. Es gab ja in jeder Szene nur eine Kameraeinstellung und es war sehr schwierig immer die selbe Körperhaltung auf den Millimeter genau einzunehmen.“ Tänzerinnen aber sind es gewohnt, Haltungen und Bewegungen im Körper zu speichern, so sieht auch Stephanie / Shirley aus wie gemalt.
Inzwischen ist der Film um die ganze Welt gegangen und auch in Montreal gelandet. Kurz bevor Cumming mit der Company Liquid Loft dort gelandet ist. „Sechs Wochen waren wir auf Tournee und sind quer durch das weite Land gereist.“ Für Cumming trotz aller Anstrengung eine Freude, denn sie hat ihre Heimat und die Familie wieder gesehen. Und als Krönung der Tournee mit dem Erfolgsstück von Chris Haring /Liquid Loft „Running Sushi“ wurde geheiratet. Stephenie Cumming ist in den Armen des flandrischen Tanzdramaturgen und Autors Guy Cools gelandet. „Nicht nur die Familie war da, auch unsere Freunde und natürlich die gesamte Company sind aus aller Welt angereist.“ Stephanie strahlt immer noch, auch wenn der Besuch das Heimweh etwas angefacht hat. „Ich bin gerne in Wien, aber Kanada ist eben meine Heimat.“
Dort, an der University of Calgary, hat sie auch ihre klassische Tanzausbildung absolviert und nach dem Bachelor of Arts, 2000, gespürt, dass ihre wuchernde Kreativität im hierarchischen Kastenwesen und dem gestrengen Regelwerk klassischen Balletts kein Ventil fand. So hat sie sich mit 24 Jahren beschlossen, auf eine Karriere als willige Marionette zu verzichten und sich statt dessen aus dem eigenen Potenzial zu schöpfen. „Es war mir eigentlich egal, wo ich landen würde, ich habe mich halt bei Castings vorgestellt und bin dann in Wien hängen geblieben.“ So recht weiter gegangen mit der Karriere ist es in den ersten drei Jahren aber nicht. „Man hat mich gar nicht bemerkt.“ Doch dann kam Chris. Stephanie Cumming lernte Chris Haring, damals 2003 selbst Tänzer, kennen, der für sie das Solo „Legal Errorist“ entwickelte, mit dem sie vom Magazin „Ballettanz“ zur „Oustanding dancer of the year“ gekürt wurde. Es war geschafft. Die zarte rothaarige, die nicht nur ihren Körper sondern auch gern und virtuos ihre Stimme einsetzt – „Die gehört doch auch zu meinem Körper!“ –, war sichtbar (und hörbar) geworden. Die Zusammenarbeit mit Chris Haring gestaltete sich überaus harmonisch in gegenseitiger Ergänzung. „Ich habe bemerkt, mit Chris bin ich stark, da habe ich Präsenz.“ Auf das Solo folgte ein Duo. Nach der Premiere von „Diese Körper, diese Spielverderber“ (ImPulsTanz 2004 ), war klar: Chris Haring und Stephanie Cumming sind prägende Faktoren der neuen Tanzsprache, eigenwillig, professionell mit einem Hang zum Gesamtkunstwerk.
Das erfolgreiche Duo Cumming/Haring, mit Soundkünstler Andreas Berger und Konzeptkünstler Thomas Jelinek zum Quartett erweitert, sollte gefestigt werden. Jedoch keinesfalls erstarren. Im „Liquid Loft“, darf jede und jeder Individuum bleiben und die eigene Kreativität ausleben. „Liquid People“ gehen als Gäste aus und ein. Auch Stephanie Cumming verlässt die „flüssigen Hütte“ (Haring), manchmal, um als Instruktorin, Workshop-Leiterin und auch als Solistin und Choreografin aufzutreten. „Dabei dränge ich mich nicht um diese Jobs, ich werde immer eingeladen. Zum Beispiel als Walter Heun seine erste Tanzquartier-Saison eröffnen wollte, hat er mich gefragt, ob ich nicht vor dem Vorhang arbeiten wollte. Ich dachte mir da, na ja feierliche Eröffnung, neuer Intendant, da muss ich etwas Lustiges machen.“ So entstand das köstliche Solo „P.S.“ über Idole und was von ihnen bleibt. Unsentimental und mit Humor. Cumming ist kein Kind von Traurigkeit: „Manchmal ist jeder doch etwas trübsinnig, aber ich bin ein positiver Mensch, ja, man kann sagen eine Frohnatur.“ Ihrer Freude an der Vibration der Stimmbänder hat sie kürzlich in einer ad hoc gegründeten Band gefrönt. „Ich bin die größte Karaoke-Sängerin! Doch in dem Musikprojekt mit Andy Berger, habe ich live gesungen.“ Stephanie Cumming, stets neugierig und Neuem aufgeschlossen, geht demnächst auch als Model auf den Laufsteg. „Nein, Model kann man nicht sagen, das bin ich nicht wirklich, ich führe mit anderen die Kostüme vor, die ich im Film getragen habe.“ Immerhin ist auch die Choreografie für den Auftritt von "Shireley, Romy und Lotte" von der vielseitigen Stephanie Cumming.
"Shirley. Romy. Lotte" mit den Kostümen aus dem Film von mija t. rosa, 6. Dezember 2013, Künstlerhaus.
Liquid Loft / Chris Haring: „The Perfect Garden Series: Deep Dish“, Uraufführung. 12., 13.12. 2013 Tanzquartier.
Der Artikel beruht auf einem Interview, dass ich für das Schaufenster der "Presse" geführt habe. Er ist unter dem Titel "Edwards Hoppers Kunstfigur" im Presse / Schaufenster vom 29. November 2013 erschienen.