Kürzlich erst gefeiert Tänzerin, macht Natalia Horecna neuerdings als Choreografin von sich reden. In der kommenden Premiere der „Ballett-Hommage“ lässt sie nicht nur die Seele sondern auch strenge Engel tanzen. "Conra Clockwise Witness" stellt das gesamte Ensemble vor eine schwierige Aufgabe. Doch die Choreografin ist zuversichtlich: "Sie müssen fühlen, was sie darstellen sollen. Mit dem Gefühl kommt auch die Bewegung."
Sie springt und grätscht, buckelt, verdreht die Hüften, wirft die Arme in die Höhe, verschlingt die Beine, schneidet Grimassen, stöhnt aus voller Brust und kann zwei Stunden lang keine Sekunde still stehen. Wenn sie nicht zappelt oder rennt, hüpft oder mit den weichen Schläppchen durch den Probensaal schleift, bleibt immer noch das herzliche Lachen, das ihr Gesicht erstrahlen lässt und von den Augen in den zierlichen Körper wandert. Natalia Horecna probt mit dem Wiener Staatsballett ihr neues Stück,
Zwar hat die erfolgreiche Solotänzerin die Spitzenschuhe an den Nagel gehängt, doch ist sie dem Metier und ihr der Erfolg treu geblieben: In nur wenigen Jahren ist die 37-jährige zur international gefragten Choreografin aufgestiegen. Mehr als zwanzig Ballette stehen auf ihrer Erfolgsliste, die sie vor fünf Jahren mit „lullaby of little soldiers“ für das Nederlands Dans Theater (NDT) begonnen hat. Dort, in Den Haag, war und ist auch ihre Heimat. Der langjährige künstlerische Leiter des NDT, Jirí Kylián, ist einer ihrer Mentoren und Meister, der andere ist John Neumeier, Chef das Hamburg Ballett, bei dem sie mit 17 ihre erste Solorolle tanzen durfte. Von den beiden Choreografen hat sie auch ihre Tanzsprache gelernt: „Schmutzige Neoklassik“, nennt sie ihren Stil: „Neumeier und Kylian tanzen Neoklassik, aber bei mir ist nicht alles so sauber, eine Schicht von Schmutz gehört dazu. Ich liebe schwarzen Humor und bin vielleicht sogar manchmal ein wenig zynisch.“ Weder die Kritikerinnen noch das Publikum nehmen ihr das übel, im Gegenteil, Natalia Horecna ist nicht nur wegen ihrer frischen Energie und des offenen Zugangs auf Tänzerinnen und Tänzer („Meine Schnecken, meine Schmetterlinge, die sind alle so süß“, sagt sie über das Wiener Ensemble) geliebt, sondern auch, weil sie mit ihren Choreografien etwas mitzuteilen hat, den Kontakt zum Publikum herstellen und auch eine Geschichte erzählen will.
Für Wien ist ihr eine besondere eingefallen, die Geschichte eines Mannes, seiner Seele und vieler Engel. „Es ist eine Geschichte vom Tod und eine Hymne an das Leben.“ Es will ihr gar nicht gefallen, dass der Tod als Tabu behandelt wird und das Thema Sterben von den Kindern fern gehalten wird: „Dadurch sind wir nicht gewappnet und erschrecken immer so. Ich habe das selbst beim Tod meines Vaters erlebt. Ich war gar nicht vorbereitet. So soll es aber nicht sein. Das will ich auch in meinem Stück sagen, dass der Tod der Übergang in ein anderes Leben ist, etwas sehr Schönes. “ Deshalb sind die im neuen Stück tanzenden Todesengel keine finsteren Gestalten, sondern eher liebevolle Begleiter, „doch sie können schon streng werden und sogar böse, wenn die Menschen das Leben, das ihnen geschenkt worden ist, nicht lieben.“ Davonschleichen gilt nicht, da schlagen die Engel auch schon mal zu. „Ich will mit der Geschichte von dem Mann (András Lukács) – er heißt der Mann –, der seine Probleme nicht lösen kann, sagen, dass das Leben ein Geschenk ist. Ich will niemanden verurteilen, aber ich will fragen, was wir mit den schwierigen Situationen in unserem Leben machen. Werden wir Opfer? Oder tun wir etwas, um die Probleme zu bewältigen?“
In einer Art Workshop hat sie die ihr vorerst unbekannten Tänzer für die neue Kreation ausgewählt: „Ballettdirektor Manuel Legris hat mir geholfen, aber er hat mir völlig freie Hand gelassen.“ So tanzt die Erste Solotänzerin Nina Poláková, als „Beistand der Seele“ inmitten der Engelschar, weil Horecna von Hierarchien nichts hält. „Alle meine Tänzer sind Erste Solisten, sie haben alle ihre eigenen Qualitäten.“ Doch möchte sie auf der Bühne „keine Tänzerinnen und Tänzer sehen, sondern Menschen. Echte Menschen, mit denen sich die Menschen im Saal identifizieren können, mit denen sie lachen oder weinen , leiden oder sich freuen. Meine Tänzer müssen Freude haben, Freude am Tanzen und Freude am Leben und die müssen sie weiter geben. Meine Priorität ist nicht die Technik sondern die Seele.“ Die vierte Wand, die unsichtbar zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum steht, akzeptiert das blonde Energiebündel nicht. „Ich möchte das Publikum und die Tänzer zusammenbringen, das soll eine Gemeinschaft sein, damit die Botschaft überspringt.“ Und die lautet diesmal: „Wir alle müssen immer wieder durch ein finsteres Tunnel gehen, aber wir kommen zum Ende und da ist wieder Licht zu sehen.“
Das klingt abgehobener als es gemeint ist. Natalia Horecna steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Hier und Jetzt und will ihrem Publikum nicht nur getanzte Parabeln vorführen sondern es auch unterhalten. Damit ihr keiner einschläft, setzt sie auf Kontraste und humoristische Brüche. Obwohl ihre Liebe den amerikanischen Komponisten Terry Riely, einem der ersten Vertreter der Minimal Music, gehört, hat sie diesmal eher Spannungsgeladenes gewählt: Altmeister George Crumb oder den deutsch-britischen Komponisten Max Richter. „Für jede Szene habe ich eine andere Musik ausgesucht, doch das ganze muss eine Linie und einen Sinn haben. Dieses Ballett beginnt eher zweidimensional, in einer schweren Ruhe vor dem Sturm, dann muss es ein Gegenstück geben und natürlich auch ein wenig Sarkasmus. Ich brauche auch in dunklen Stücken Licht.“ Ihre Stücke, meint sie, seien „nicht leicht zu verdauen“. „Aber sie sind ehrlich und authentisch. Und letztlich handelt auch dieses neue Stück von der Liebe. Das ist doch das Wichtigste im Leben, die Liebe. Die Liebe der Tänzer zum Tanz gehört auch dazu, die soll auch auf das Publikum überspringen.“
Natalia Horecna hat als Choreografin nicht nur für das NDT gearbeitet sondern auch mit anderen Compagnien, dem Nationaltheater von Kosice in ihrer Heimat Slowakei, oder für das Solistenpaar Silvia Azzoni und Sascha Riabko vom Hamburg Ballett, auch für das Grazer Ballettensemble oder das Kiel Ballett. Für die Tanzcompagnie am Tiroler Landestheater gestaltet sie den Kontrapart zu einer Choreografie der Tänzerin Marie Stockhausen für die kommende Frühjahrspremiere. Wieder klingt der Titel etwas düster: „Its Black Nature“, doch es darf erinnert werde: Hinter der Schwärze leuchtet die Ironie. Vom Wiener Staatsballett spricht sie nur in den höchsten Tönen: „Natürlich hat jedes Ensemble seine eigene Bewegungssprache, hier sind sehr viele Mitglieder klassisch geprägt, aber ich sehe, dass sie große Freude an einer freieren Bewegungssprache haben und schnell lernen. Wenn sie verstehen, was ich will, dann können sie es auch tanzen. Unbedingt steht die Wiener Compagnie in vorderster Reihe und muss keinen Vergleich scheuen. Sie sind alle unglaublich professionell und auch bescheiden.“
Wie sie ihre Stücke entwickelt, kann sie „nicht genau sagen. Die Idee kommt in meinen Kopf, dann höre ich die Musiken und irgendwie kommt das dann alles zu zusammen.“ Wenn sie Zeit hat, steht sie mit den Kopfhörern in den großen Musicstores und hört und hört und hört. „Bei diesem Stück habe ich auch an die Atmosphäre dieser Stadt hier gedacht, an die Leichtigkeit, auch an den Humor.“ Was Tanz und Ballett heute leisten können, kann Horecna lediglich für sich definieren: „Ich bin nicht mehr am experimentellen Theater interessiert, ich denke das ist schon schön und ich habe auch Respekt vor allen, die das machen. Doch in meinem Theater will ich Geschichten erzählen, ich will eine „rough version“, nicht durchgekochtes Fleisch. Ich brauche nur einen Tänzer, eine Emotion, eine Musik und eine Atmosphäre. Kein Video, keine üppige Dekoration, die Geschichte soll im Mittelpunkt stehen. Ich will etwas sagen und man soll mich verstehen.“
Sieht man der quirligen Choreografin zu, wie sie die Sprünge und Drehungen, Verschlingungen und das Spiel der Mimik mit Elan vorzeigt und dabei heftig ins Schwitzen gerät, so muss gefragt werden ob ihr das Tanzen nicht doch fehlt: „Nein, ich finde es schön, jetzt auf der anderen Seite zu sein. Und so wild bin ich nur jetzt am Anfang, da muss ich Schwung in die Truppe bringen. Später werde ich dann sicher ruhiger.“ Kaum zu glauben.
Natalia Horecna: „