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OssipenkoIm Grunde ist es für heutige hypervisualisierte Augen eine Nulldiät, wenn nicht gar eine „Zumutung“: Weiß gewandet vor einem grau-weißen Hintergrund oft nur schemenhaft erkennbar und durch alterungsbedingten Medienverschleiss zudem in der Bildqualität stark verrauscht, vollzieht ein disziplinierter Körper ein Ritual der Ästhetik – und nimmt sich in heute im Bühnenbetrieb nicht mehr vorstellbarer Weise Zeit dafür, wobei aus eben dieser Beherrschung der musikalischen Zeit im tänzerischen Feld die überragende Wirkung entsteht. 

Wer frühe bis mittlere Filmdokumente aus „Schwanensee“ oder der „Eisjungfrau“ kennt, fühlt instinktiv, dass mit dem Tod von Alla Ossipenko (16. Juni 1932 – 12.  Mai 2025) endgültig eine Epoche der Ballerinen zur Neige ging, die im Besitz einer geradezu mythisch, wenn nicht gar magisch anmutenden Ästhetik waren. Im Falle Ossipenkos darf diese durch Herkunft wie Stil zudem mit Fug und Recht als aristokratisch bezeichnet werden.

Als eine der letzen direkten Schülerinnen von Agrippina Waganowa (1879 – 1951) verstand sich „Die Ossipenko“ in besonderer Weise auf jene „Grundlagen des Klassischen Tanzes“, die für Waganowa wie ihre künstlerische Erbin Tanz als eine Kunstsprache – oder sollte man besser sagen „körperliche Klangrede“ – durchdrungen von Seele und Inhalt definierten. Oder wie Ossipenko es einmal selbst formulierte: „Die Versuchung ist groß, die eigene Technik auszunutzen, weil man auf diese Weise leicht ein Publikum erreicht, aber es lässt sich nicht allein durch Technik bewegen, und ein Publikum zu bewegen ist die Aufgabe des Tanzes als Kunst.“

Viel wurde über sie geschrieben und in Monographien von Zozulina oder Lobenthal ist eingehend über ein bewegtes wie bewegendes Schicksal zu erfahren:

Vier gescheiterte Ehen, darunter eine letzte mit ihrem langjährigen Traumpartner John Markowski – mit dem sie auch in den eingangs benannten Filmdokumenten zu sehen ist – ein verlorener Sohn und richtiggehender „Spionagethriller“ vor dem tragischen Hintergrund des kalten Krieges, der auch im Ballett seine Opfer forderte, rahmten ein ereignisreiches Leben, das sich mit jeder Faser und in jeder Sekunde dem klassischen Tanz gewidmet sah.

Wenngleich der Name Ossipenko die Covers von Bildtonträgern mit Titeln wie „Glorreiches Kirow“ zierte und somit als internationales Aushängeschild erster Güte fungierte, verfing sich der Lauf der ihr zustehenden internationalen Karriere in so manchem Verhängnis.

Just Paris bildete eines davon, jene Stadt die sie bereits 1956 als eine der ersten „Sowjet-Tänzerinnen“ nach dem Zweiten Weltkrieg mit bereiste und in der man ihr ab 1961 nicht glauben wollte, nichts vom geplanten Absprung ihres „Reisegruppenmitglieds“ Nurejew ins politische Asyl gewusst zu haben. 

Dieser war – wie später Baryschnikow – einer ihrer höchst namhaften Partner in einem breiten Feld des Repertoires, das sich zunehmend um große zeitgenössische choreographische Namen bereichert sah: Grigorowitsch, Belski, Jakobson, Tschernyshow, Alexidse und (dem noch aufstrebenden) Eifman wurde sie neben vielen weiteren mehr zur Muse – eine veritable Liste, in die sich auch Filmschaffende wie Sokurow einreihten, in einigen dessen Filme sie ihr hoch dramatisches Talent schauspielerisch zur Geltung brachte.

Nach Erfolgen in London, „gastierenden Unterrichtstätigkeiten“ in Italien, Frankreich, Russland, Kanada und den USA sowie einem längeren fixen Intermezzo in den Vereinigten Staaten (Connecticut), zog es sie nach St. Petersburg und dessen Balletttradition – wo sie beim Kirow und mit Kompanien von Jakobson und Eifman ihre künstlerische Hochblüte erlebt hatte – zurück, um unermüdlich bis in die letzten Lebenstage ihr Wissen und ihr „Textbuch des Magischen“ weiterzugeben. Es sei ihr und dem Ballett gegönnt, dieses Erbe entgegen allen Trends unserer Tage am Ende doch bewahrt zu wissen.

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