Mit der Wiederholung der Live-Übertragung de Tanzfestes zum 25jährigen Bestehen der „Ballets de Marseille“ gedachte ARTE TV des am 10. Juli 2011 in Genf verstorbenen Tänzers und Choreografen Roland Petit. Die Show zeigte das breite Spektrum von Petits Begabung, seinen unbekümmerten Umgang mit dem klassischen Ballett und die charmante Lebendigkeit seiner Choreografien. Mehr als hundert Werke hat der gefeierte Choreograf geschaffen, eines davon, "Die Fledermaus", ist auch im Repertoire des Wiener Statsballetts.
Zum Geburtstagsfest für das von ihm 1972 gegründete „Ballet National de Marseille Roland Petit“ hatte sich der vielseitige Choreograf im alten Hafen von Marseille eine Freiluftbühne bauen lassen. Das Publikum saß mit dem Blick auf Marseilles Wahrzeichen, die Kirche „Nôtre-Dame de la Garde“ und applaudierte frenetisch den männlichen weißen Schwäne aus „Ma Pavlova“ (1986), einem traumhaften Pas de deux zu Jules Massenets „Meditation de Thaïs“, der kecken Interpretation von Maurice Ravels Bolero („Boléra“) und natürlich auch einem Ausschnitt aus aus seiner legendären „Carmen“ bis schließlich nach einer Verbeugung vor Charlie Chaplin und einer Hymne an das Meer, Zizi Jeanmaire, die Ur-Carmen, Kindheitsfreundin, Ehefrau und Muse, selbst auf die Bühne trat und an längst vergangene Varieté-Zeiten erinnerte.
Mit „Carmen“ hat Roland Petit 1949 seinen Weltruhm begründet. Die damals 25jährige Zizi (Renée) Jeanmaire kreierte in der Choreografie ihres Gefährten eine Carmen, die eindeutig in Frankreich geboren war, frech und frivol, eine Midinette, weniger dem Zigeunerlager als dem Varieté entsprungen, dem Rockn 'n Roll mehr zugeneigt als dem Fandango. Petit blieb seiner Linie treu, er war ein durch und durch französischer Choreograf, der mit dem Zeitgeist tanzte, seine Werke locker und nonchalant auf die Bühne setzte, sich wenig um den strengen Katalog des klassischen Balletts doch stets um die Unterhaltung des Publikums kümmerte. Virtuos löste Roland Petit die Grenzen zwischen Bühnentanz im klassischen Sinn und dem Revueballett auf. Und auch in der Musik erkannte er keine Grenzen an. Zu Alban Berg fiel ihm genau so ein Ballett ein wie zu Pink Floyd, Francis Poulenc war ihm ebenso recht wie die Melodien der Bee Gees. Und genauso hielt er es mit der Geografie. Obwohl er die Pariser Oper, wo er im Corps de Ballet seine Karriere begonnen hatte, immer als seine Heimat betrachtet hat und als „verlorener Sohn“ begrüßt worden ist, als er im vergangenen Herbst mit drei seiner berühmtesten Ballette („Le Jeune homme et la Mort“, „Le Loup“ und „Le Rendez-vous“) an die Opéra Garnier zurückkehrte, war ihm die ganze Welt Bühne. Petit choreografierte in Moskau für das Bolschoi Ballett, in Tokyo und Peking, in Mailand an der Scala und in den USA.
Schon in den 1950er Jahren kam der Ruf aus Hollywood, dem er mit seiner Frau gerne folgte. Mit Fred Astaire und Leslie Caron, Danny Kaye oder Bing Crosby und der Jeanmaire choreografierte er Musicals und Tanzfilme ganz à la Hollywood. Zurück aus Amerika, war er auf den Geschmack gekommen, servierte die amerikanische Musikkomödie à la française und ließ seine „Revue des Ballets de Paris“ mit seiner Frau als als Hauptattraktion in den Pariser Vergnügungsetablissements auftreten. Anfang der 60er Jahre kreierte Petit die Show „Mon truc en plumes“(„Mein Dings mit den Federn“), in der Zizi Jeanmaire in Kostümen von Yves Saint-Laurent gefeiert wurde. Nach ausgedehnten Tourneen mit dem „Ballets de Paris“ fand sich Petit wieder an der Pariser Oper ein, um „Notre Dame de Paris“ (nach Victor Hugo) zur Musik von Michel Jarre zu choreografieren. Yves Saint-Laurent gestaltete auch diesmal die Kostüme, Petit tanzte selbst mit. Der Geschichte vom hässlichen Quasimodo, Glöckner der Kirche Notre Dame in Paris, wurde mehr als hundert Mal aufgeführt. Einen Pas de deux daraus hat Ballettdirektor Manuel Legris in das Programm der Nurejew-Gala zum Schluss seiner ersten Saison an der Wiener Staatsoper (2010/2011) ins Programm aufgenommen.
1970 wurde Petit die Direktion des Balletts der Pariser Oper angeboten. Doch nach nur sechs Monaten legte der eigenwilige Choreograf und unruhige Geist, das Amt zurück und widmete sich lieber wieder dem großen Spektakel im „Casino de Paris“. Mehr interessierte ihn zwei Jahre später das Angebot des Marseilleser Bürgermeister, das dahin dämmernde Ballettensemble an der Oper der Stadt in Schwung zu bringen. Petit forderte absolute Autonomie für seine „Ballets de Marseille“ und zeigte die neue Compagnie schon im ersten Sommer beim Festival von Avignon mit dem Ballett „Allumez les étoiles“ (Zündet die Sterne an). Für Les Ballets de Marseille hat Petit 1979 schließlich auch die „Fledermaus“ choreografiert, deren Einstudierung mit der Wiener Ballettcompagnie er 2008/09 noch selbst beobachtet hat. Das Wiener Staatsballett wird des großen französischen Choreografen im Februar mit seinem 1974 entstandenen Ballett „L’Arlésienne“ zur Musik von Georges Bizet gedenken. Petits „Fledermaus“ wird die Wiener Compagnie im nächsten April in Tokyo zeigen.
„Hommage an Roland Petit“, Dokumentation, ARTE F, Frankreich 1997, Wiederholung am 18.7. 2011.
Roland Petit , 1924–2011, neben Maurice Béjart wichtigster französischer Choreograf des 20. Jahrhunderts. Es trauern um ihn, seine Frau Zizi Jeanmaire und die Tochter Valentine, Tänzerin, Sängerin und Autorin von Kinderbüchern.