Mit einem attraktiven und anregenden Projekt ist heuer auch der Tanz am Festival „Wien modern“ beteiligt. Die Tänzerin und Choreografin Anne Juren und der bildende Künstler Roland Rauschmeier haben zur Musik von Johannes Maria Staud einen Abend geschaffen, der jegliches Genre sprengt und sinnliches Erleben ebenso bietet, wie theoretische Erkenntnis. Die Choreografie von Objekten und Körpern nennen sie „Tableaux Vivants“ – lebende Bilder.
Für die Tänzerin und Choreografin Anne Juren, in Grenoble geboren, doch seit zehn Jahren in Wien lebend und arbeitend, ist Tanz keine in sich abgeschlossene Kunstform, sie will, dass der bewegte Körper seine Tentakel in alle Bereiche ausstreckt und neue Beziehungen knüpft. So hat sie bereits das Projekt über „Sport und Tanzformen“ realisiert und sich mit „Magical“als Solistin, lediglich mit roten Schuhen bekleidet, tanzend auf beeindruckende Weise mit Performancekunst und Feminismus auseinandergesetzt. Immer wieder schafft es Juren theoretisches Denken in Bewegung umzusetzen. Dabei interessiert sie besonders, welche Informationen der bewegte Körper vermittelt und wie sich dieser Vorgang auf der Bühne zeigt.
In „Tableaux Vivants“ tritt der bewegte Körper in Interaktion mit der unbewegten Materie, dem Bühnenbild, den Versatzstücken.
Seit vielen Juren beschäftigen sich Juren und ihr Partner, der bildende Künstler Roland Rauschmeier, mit dem Ineinanderfließen von bildender Kunst und Tanz. Hier die fertigen Skulpturen, Gemälde und (auf der Bühne) unveränderbaren Videos – da die bewegten Körper. Für das Festival „Wien Modern“ (veranstaltet vom Wiener Konzerthaus) hat sich auch der Komponist Johannes Maria Staud mit seiner Musik hinzugesellt. Gemeinsam soll die Frage beantwortet werden, wie einander die Kunstformen beeinflussen, wenn sie gemeinsam auf der Bühne „agieren“. Die Geschichte der Kunst spielt da ebenso mit, wie die Bewegungen der sechs TänzerInnen. Schließlich verweist der Titel der multimedialen (Skulpturen, Videos, Musik, Tanz) Performance zurück ins 18. Jahrhundert. „Tableaux Vivants“ waren damals (vor allem in Paris) hoch in Mode. Die feine Gesellschaft stellte in den Salons berühmte Gemälde nach, gestaltete zur Belehrung und Erbauung „lebende Bilder“. Noch heute sind mitunter solch lebende Bilder zu sehen: Am Ende von Ballett- oder Zirkusvorstellungen, arrangieren sich die Mitwirkenden häufig zu einer bildhaften Gruppe, um den ersten Applaus entgegen zu nehmen. Die Begeisterung dafür war in vergangenen Jahrhunderten so groß, dass der Komponist Jean Sibelius seine Suite „Finlandia“ für eine Folge von Tableaux Vivants komponiert hat.
Jetzt also „Tableaux Vivants“ von Anne Juren, Roland Rauschmeier und Johannes Maria Staud: Lebende Bilder einer anderen Art. Gern verwendet die Choreografin den Begriff „oszillierend“, um zu umreißen, was auf der Bühne passieren wird. Objekte, Musik und Körper interagieren miteinander und verändern sich dadurch in ihrem Beziehungsgeflecht. Leicht vorstellbar: Ein Tisch sieht anders aus, wenn eine Frau daran sitzt, als wenn er einsam in der Mitte eines Raumes steht. So werden durch die Bewegung der sechs Körper auf der Bühne auch die Bilder verändert. Performance-Kunst und bildende Kunst beeinflussen, verändern einander, reagieren aufeinander, potenzieren ihre Energie. Das Bühnenbild ist Choreografie, die Körper werden zu Bildern.
Schon 2006 hatten Juren und Rauschmeier die ersten Ideen für die aufwändige Untersuchung. Dann begann die Recherchearbeit, bis sich vor einem Jahr die theoretischen Grundlagen zu einem Bühnenstück konkretisierten. „Für alle Fragen und Überlegungen, für die Ergebnisse und Assoziationen haben wir riesige Mappen angelegt“, sagt Rauschenberg und erzählt, dass bei den schwierigen Proben nach einem genauen Plan vorgegangen wurde: „Wir probieren immer 45 Minuten und stellen uns und dem Team eine Aufgabe. Zum Beispiel, zwei Mal etwas miteinander tun.“ Auch wenn die TänzerInnen – Eun Kjung Lee, Korea; Alix Eynaudi, F; Anne Juren, F – und Tänzer – Pasi Mäkela, Fin; David Subal, A – denkend und improvisierend am Prozess mitgewirkt haben, hat Juren ihre Choreografie exakt im Kopf. Eine Frau, die weiß, was sie will.
Ihr Studium hat Juren am Conservatoire National Superieur de danse in Lyon abgeschlossen, danach hat sie mit Hilfe eines Staatsstipendiums ein Jahr lang in der Trisha Brown Dance Company in New York gearbeitet. Nachdem sie 2002 ihr Solo „Oslo“ in Grenoble gezeigt hat, gelang ihr durch eine Kooperation des französischen Kulturinstituts mit „dietheater“ (heute „brut“) der Sprung nach Wien. „A?“ wurde später auch im Tanzquartier gezeigt. Wie für viele andere TänzerInnen war die Begegnung mit dem Wiener Tanzquartier ein Aha-Erlebnis. „Das gibt es in ganz Europa nicht“, schwärmt Juren auch heute noch. „Diese Offenheit, es gibt keinen Stil, in den die Künstlerinnen gepresst werden und es ist viel mehr als ein Aufführungshaus. Der internationale Ruf ist großartig, von Paris bis New York gibt es nur Bewunderung für das Tanzquartier in Wien.“ Aber nicht nur die Arbeits- und Auftrittsmöglichkeiten in Wien haben Anne Juren in der ehemaligen Kaiserstadt festgehalten. Auch die Liebe hat ihren Anteil am neuen Lebensschwerpunkt. Roland Rauschmeier ist zwar gebürtiger Augsburger, hat jedoch nach seinem Philosophiestudium in München und Berlin an der Akademie der bildenden Künste (heute Universität) in Wien studiert und ist gern geblieben. Wie seine Partnerin kennt auch er keine Grenzen der Genres, ist auf der Bühne ebenso zu Hause wie auf der Videowall oder in der Ausstellungshalle.
Sowohl Juren als auch Rauschmeier huldigen streng konzeptionellen Ansätzen, doch „die Lösung ist physisch und bewegt, der Körper auf der Bühne“ rückt Juren das oft etwas verschobene Bild von „Konzeptkunst“ ins sinnliche Licht.
Bei den „Tableaux Vivants“ werden nicht nur bewegte Körper auf der Bühne sein, sondern auch das nicht minder bewegte Ensemble für zeitgenössische Musik PHACE, das die Kompositionen (vorhandene Werke eigens arrangiert) von Johannes Maria Staud als drittes Element zu Bühnenbild und Tanz fügen wird.
Anne Juren / Roland Rauschmeier: „Tableaux Vivants“, Musik Johannes Maria Staud, interpretiert von PHACE, Dirigent Martin Schwab. Im Rahmen von "Wien Modern", Tanzquartier, Halle G: 9., 11., 12. November, jeweils 20.30 .
Kostenlose Einführung an den Veranstaltungstagen um 19.45 Uhr in den Tanzquartier Studios.
KünstlerInnengespräch 11.11. nach der Vorstellung .