Die Sommerfestivals sind vorbei, Zeit also in die nächste Saison zu schauen. Und hier bietet das Festspielhaus St. Pölten wieder ein Programm zeitgenössischer Tanz-Superlative, nicht nur von arrivierten Künstler*innen, sondern auch von Menschen “denen bisher kein Platz im Rampenlicht eingeräumt wurde, die ‘anders’ klingen oder ‘anderes’ sagen, die vom Kunstkanon bisher nicht gehört wurden”, schreibt die künstlerische Leiterin Bettina Masuch in der Saisonbroschüre.
So beschäftigen sich die im Herbst in Zusammenarbeit mit Tangente St. Pölten geplanten Vorstellungen auf sehr unterschiedliche Art mit Identitätsfragen wie black and queer. Der US-amerikanische Choreograf Kyle Abraham verhandelt sie anhand der Ambivalenz des Erinnerns (20. September). Joana Tischkau (Deutschland) untersucht, wie das Fernsehen und die dort gezeigten Repräsentationen von Familie unser Zusammenleben bestimmen (4. und 5. Oktober).
Philippe Quesne versammelt in seinem neuen Stück, eine Retrospektive seiner über 20-jährigen Zusammenarbeit mit dem Vivarium Studio, die wichtigsten Protagonist*innen und Motive seiner bisherigen Arbeiten. Inspiriert von Hieronymus Bosch’ “Der Garten der Lüste” changiert sein gleichnamiges Stück zwischen mittelalterlichem Bestiarium, Öko-Science-Fiction und modernem Western. Österreich-Premiere im Rahmen der Tangente St. Pölten am 27. und 28. September.
Das Jahr 2025 wird tänzerisch von der österreichischen Urban Dance Formation Hungry Sharks mit “Destination FCKD” eröffnet, einer Auseinandersetzung mit Rand- und Nebenfiguren in Computerspielen (18. Jänner 2025).
Die Stars
Doch freilich gibt sich in dieser Saison auch das Who is Who der zeitgenössischen Tanzszene die Klinke in die Hand. Namen wie Sidi Larbi Cherkaoui, Hofesh Shechter, Emanuel Gat, Serge Aimé Coulibaly und Jan Martens bestätigen den Ruf des niederösterreichischen Theaters als führendes Tanzhaus in Österreich. Bei den meisten der in der Saison 2024/25 gezeigten Produktionen war das Festspielhaus St. Pölten auch Kooperationspartner und untermauert damit seinen Stellenwert in der internationalen Tanzszene.
Der israelisch-französische Choreograf Emanuel Gat bezieht seine Inspiration aus der Musik. Für seine “Freedom Sonata”, mit der er sein 30-jähriges Künstler-Jubiläum feiert, stellt er Klassik (von Beethoven) und Hip-Hop (von Kanye West) gegenüber. Zu sehen und hören am 18. Oktober.
Sidi Larbi Cherkaoui setzt sich am 24. Jänner in “Ihsane (chez moi)” mit seiner marokkanischen Herkunft väterlicherseits auseinander, nachdem er sich in “Vlaemsch (à moi)” mit seiner “flämischen Hälfte” beschäftigt hat (tanz.at berichtete über das Gastspiel in St. Pölten). Auch im zweiten Teil seiner choreografischen Biografie findet er zahlreiche gesellschaftspolitische Referenzpunkte. Musikalisch begleiten ihn auf dieser Reise der tunesische Komponist Jaser Haj Youssef und der aus der islamischen Vokalkunst kommende Mohammed el Arabi Serghini. Es tanzt das Grand Théâtre de Genève, das Cherkaoui seit 2022 leitet.
Jen Martens tritt in “Voice Noise” mit vergessenen Frauenstimmmen in einen Dialog von Tanz und Musik (26. April), Serge Aimé Coulibaly feiert multimedial das Leben in “C la vie”. Hofesh Shechter vereint seinen energiegeladenen Tanz und seine Musik mit dem raffinierten Lichtdesign von Tom Visser zu einem “Theatre of Dreams” (am 16. Mai).
Ein Wiedersehen gibt es auch mit zwei Künstler*innen aus Irland, die beide gleichermaßen düstere wie humorvolle Kreationen zeigen: Michael Keegan-Dolan, seine Compagnie Teaċ Damsa und das paneuropäische Orchesterkollektiv Stargaze gastieren am 24. Dezember mit dem rätselhaften Stück “Mám”, Oona Doherty begibt sich mit “Specky Clark” zusammen mit dem irischen Autor Enda Welsh auf eine Reise durch die Schlachthöfe als Teil ihrer Familiengeschichte (7. März 2025).
Die Highlights
Eine besondere Bedeutung im Programm des Festspielhaus St. Pölten nimmt wohl “Shout Aloud” der israelischen Choreografin Yasmeen Godder ein. Inspiration dafür ist die Arbeit ihrer Compagnie mit palästinensisch-arabischen und jüdischen Frauen, die wöchentlich zum Tanzen zusammenkommen. Mit einer Live-Performance der israelisch-ägyptisch-irakischen Sängerin Dikla sowie den Tänzerinnen und Musiker*innen entsteht ein performatives Ereignis zwischen Tanz und Popkonzert. (30. November)
Das Aterballetto bringt am 23. November die Choreografie “Notte Morricone” des spanischen Choreografen Marcos Morau, dazu spielt das Tonkünstler-Ochester Niederösterreich Werke des 2020 vestorbenen italienischen Komponisten Ennio Morricone, der sich mit seinen Filmmusiken ins kollektive Bewusstsein eingeschrieben hat.
Am 29. März 2025 steht Beethovens 3. Sinfonie auf dem Programm des Residenzorchesters im Festspielhaus St. Pölten, wenn die belgische Tanzpionierin Michèle Anne de Mey mit ihrer Compagnie Astragales ihr 1990 uraufgeführte Stück "Sinfonia Eroïca" wieder aufleben lässt.
Der aus Guinea stammende Circus Baobab vermittelt politische Themen mittels Artistik. In “Yongoyély” geht es um die Situation von Frauen in Guinea und Westafrika zwischen Marginalisierung und Selbstermächtigung. Ein starkes Statement zum Saisonabschluss am 13. und 14. Juni 2025.
Neben diesen spannenden Tanz-, Theater- und Zirkusproduktionen bietet natürlich auch in der kommenden Saison ein umfangreiches Konzertprogramm musikalische Vielfalt und animiert ein Kulturvermittlungs- und Community-Angebot alle Interessierten zum Singen, zum Tanzen und zum Schreiben.