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Shechter1Tanz mit dem eigenen Körper zu erfahren ist der Weg ihn zu verstehen. Die künstlerische Leiterin des Festspielhaus St. Pölten Bettina Masuch weiß das und hat nun erstmals die Spielzeit 2025/26 in einer freudvollen “bewegten Programmpräsentation” vorgestellt. Auch Hofesh Shechter, einer der angesagtesten Choreografen unserer Zeit, setzt bei seinem Stück “Theatre of Dreams” aufs gemeinsame Tanzen mit dem Publikum. Und so nahm dieses Gastspiel das Motto der kommenden Saison bereits vorweg: “Gemeinsinn”.

Hofesh Shechters Tanzschrift ist unverwechselbar: Bewegungsimpulse, ausgehend von einer Handgeste, einem inneren Impuls oder einem Hüftschwung artikulieren sich in allen Teilen des Körpers, machen ihn zu einem vibrierenden Gefäß. Wenn sich diese Körper in einer Gruppe zusammenfinden, entfaltet sich die kollektive Kraft des Tanzes. Wie eine Rave-Welle setzt sich die Bewegung im Raum fort – treibend, expressiv, aufwühlend und nervös – zu den pochenden Rhythmen, die Shechter selbst komponiert hat. Diesmal sind mit den fabelhaften Tänzer*innen, auch drei außergewöhnliche Musiker auf der Bühne, die dem Elektro-Sound melodische Klangfarben verleihen. Wenn sie einen Song im Samba-Rhythmen spielen, erfolgt die Einladung ans Publikum mitzutanzen. Shechter4

In diesem Moment hat das Spiel mit den multiplen Vorhängen, vor und hinter denen sich, choreografische Schnipsel offenbaren, bereits an Spannung verloren. Eine Stunde lang folgten wir den traumartigen Sequenzen, in nebelverhangenen Bildern, rätselhaften Anordnungen zwischen Traum und Albtraum bis hin zur nackten Erscheinung, die sich ihrer Blöße schamhaft bewusst ist. Die eine oder andere Vision wird zusätzlich durch den brüchigen Klang von Molly Drakes “I Remember” verstärkt. Nach dem Tanz-Intermezzo mit dem Publikum, steigert sich die Energie auf der Bühne noch einmal, nimmt uns mit in ein Delirium des gemeinschaftlichen “Flows”. 

Shechter13Die scheinbaren dramaturgischen Schwächen von “Theatre of Dreams” entpuppen sich nun als Stärke, vermittelt der Tanz doch eindringlich den Zustand des kollektiven Traumas, den wir zur Zeit durchleben. Wenn die Tänzer*innen aus Momenten selbstvergessener Ekstase gerissen werden, kommen zwangsläufig Bilder des 7. Oktober 2022 hoch, als Hamas-Terroristen auch ein Musikfestival überfielen. Mit den daraus folgenden desaströsen, politischen und kriegerischen Konsequenzen ist uns die Unschuld unbeschwerten Feierns abhanden gekommen. Doch wir geben nicht auf. Wir tanzen weiter.Shechter16

Und so schlägt “Theatre of Dreams” die perfekte Brücke zum Motto “Gemeinsinn”. In einer Welt der extremen Positionen, Individualisierung und Abgrenzung will das Festspielhaus St. Pölten in der nächsten Saison Räume schaffen, “in denen Gemeinschaft erlebt und reflektiert werden kann”.

Das Motto Gemeinsinn

BaobabGemeinschaftlichkeit ist freilich der Zirkuskunst ganz besonders immanent, müssen sich die Artist*innen für ihre Sicherheit doch ganz auf ihre Kolleg*innen verlassen können. Eine derart kollektives Handeln wird am 15. und 16. Juni zum Abschluss dieser Saison mit dem afrikanischen Circus Baobab zelebriert. 

Gemeinschaftliches Agieren gehört jedoch auch generell zur DNA des Festspielhaus St. Pölten Mit einem ständig erweiterten Outreach-Programm, Tanz- und Musik-Communities bis hin zu den Festpielhaus-Reporter*innen, hat das Haus ein wachsendes Tanzpublikum nachhaltig aufgebaut. Die Gruppen werden ihre Arbeitsergebnisse im Rahmen des LandStadtFluss-Festivals am 13. und 14. Juni präsentieren, bei dem der Kulturbezirk und gesamte Regierungsviertel mit Musik, Performances und anderen künstlerischen Aktionen belebt werden. In der nächsten Saison geben die Communities am 15. Jänner 2026 Einblick in ihre Arbeit bei der Winter-Werkschau. Und wer sich ein Bild über den Fortschritt der hauseigenen Jugendtanzcompany Step by Stp machen will, hat dazu am 4. Juni Gelegenheit.

Die Saison 2025/26

Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass sich eine erfreuliche Zahl an Bewegungswilligen im Kleinen Saal eingefunden hat, um sich über die kommende Saison zu informieren. Im Dreierteam boten Bettina Masuch und die Kulturvermittlerinnen Leonie Humitsch und  Christina Ebner Einblicke in das Tanzprogramm 2025/26 und animierten zu tänzerischen Aktionen, die die Neugier auf das Angebot ungleich erhöhten.DanceOn

Spectacle: A FOLIA ,Chorégraphe: Marco da Silva Ferreira,Compagnie: CCN - Ballet de Lorraine,Musique: Luis Pestana,Costumes: Aleksandar Protic,Lumières: Teresa Antunes,Lieu: Opéra national de Lorraine, Nancy, le 7/03/2024Ein ganzer Tag ist dem Saison-Motto “Gleichsinn” am 21. März bei “1 Tag alle Räume” gewidmet, bei dem die Communities ebenfalls eine Rolle spielen werden. Für einen Tag wird sich das ganze Festspielhaus in einen pulsierenden Schauplatz für zeitgenössischen Tanz, Vorträge und Workshops verwandeln. Ob im Großen oder im Kleinen Saal, in den Foyers, auf den Probebühnen oder im Café – jeder Winkel des Festspielhauses wird bespielt und bietet Gelegenheit, Tanz hautnah zu erleben und mit Künstler*innen, Theoretiker*innen und Besucher*innen in Austausch zu treten. Am Abend von “1 Tag alle Räume” zeigt das Dance On Ensemble eine Choreografie von Christos Papadopoulos. Das CNN – Ballet de Lorraine präsentiert Arbeiten von Ayelen Parolin und Marco da Silva Ferreira.

Drei Mal MorauMorau

Insgesamt bietet das Festspielhaus St. Pölten auch in dieser Saison vielversprechende Tanzabenteuer. Drei Arbeiten des spanischen Choreografen Marcos Morau, (der sich mit “Notte Morricone” einen Platz im Herzen des St. Pöltner Publikums erobert hat), stehen auf dem Programm:  Zur Eröffnung am 26. und 27. September bringt das Ballet Nacional de España “Afanador”, eine Kreation auf Basis von Ruven Afanadors expressiven Flamenco-Fotografien. Das Opera Ballet Vlaanderen zeigt Moraus “Romeo und Julia” am 6. und 7. März, Prokofjews Musik wird live vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich gespielt. Schließlich teilt sich Morau den Abend mit Marco Goecke, wenn das NDT2 (Nederlands Dans Theatre 2) am 9. Mai in St. Pölten gastieren wird.

Koproduktionen

KontakthofDas Festspielhaus St. Pölten wird auch vermehrt zu einem Ko-Produktionspartner des europäischen Tanzschaffens: Etwa für Sharon Eyals neues Stück “Delay of Sadness” (8. November). Oder beim Wuppertaler Tanztheater. Unter Pina Bausch waren die Ensemblemitglieder eine eingeschworene Gemeinschaft. Nun haben sich acht der legendären Tänzer*innen zur Neubearbeitung (in der Inszenierung des Bausch-Urgesteins Meryl Tankard) von “Kontakthof – Echoes of ‘78” wieder zusammengefunden (11. Oktober). Damien Jalet (zuletzt mit Skid in St. Pölten) kommt am 24. Jänner zurück: das Ballet du Grand Théâtre de Genève wird sein “Mirage” zeigen, für das der japanischen Künstler Kohei Nawa das Bühnenbild schuf. Und schließlich feiert auch der ehemalige künstlerische Leiter des Hauses Joachim Schlömer als Choreograf ein Comeback im Haus. “Rauschen” ist am 21. und 22. Februar zu sehen.Ouramdane

Ein Wiedersehen gibt es auch mit Rachid Ouramdane und der Compagnie XY  am 20. Dezember. Unter den Tänzer-Artist*innen sind einige bereits aus “Corps extrêmes” bekannt (tanz.at berichtete). In einer faszinierenden Choreografie, inspiriert von der Bewegung von Vögelschwärmen, werden sie die sinnlichen Erkundung des Zusammenspiels von Körpern und Räumen in dem Stück “Möbius” fortsetzen.

Entdeckungen

GoeteborgNeue Namen fehlen im Programm der kommenden Spielzeit natürlich auch nicht. Cathy Marston, seit dieser Saison Direktorin des Ballett Zürich, stellt sich erstmals mit ihrer Compagnie in Österreich vor. (Bekannt ist sie hierzulande als Choreografin der Balletteinlagen beim Neujahrskonzert 2025.) “Clara” ist eine Hommage an Clara Schumann. Und es ist ein weiterer Abend, an dem die Musik aus dem Orchestergraben tönt: das Tonkünstlerorchester Niederösterreich wird Musik der Komponistin und ihres Mannes Robert Schumann spielen.

Ein Newcomer in der internationalen zeitgenössischen Tanszene ist Adam Lindner, der in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Ethan Braun, live interpretiert vom Solistenensemble Kaleidoskop,  ein visuelles und akustisches Spektakel liefert (5. Dezember). Goeteborg

Das Choreografen-Geschwisterpaar Imre & Marne Opstal zeigen drei ihrer Arbeiten: “I’m afraid I forget your smile” und “Force Majeure” mit dem Hessischen Staatsballett (10. April) und “Atlas Song” mit der Göteborgsoperans Danskompani und Anna von Hausswolff am 21.und 22. Mai. 

koubiDen Abschluss der Saison 2025/26 bildet die französische Compagnie Hervé Koubi. Er kombiniert urbanen Tanz mit Akrobatik und Ballett und definiert damit eine neue Facette zeitgenössischen Tanzschaffens. “Sol Invictus” ist “Energie ohne Ende in einem supergeladenen Ritual, das das Leben und das Licht feiert” schrieb die Fjord Review und ist am 12. Juni in St. Pölten zu erleben. 

All diese wunderbaren Tanzevents sind in ein umfangreiches Programm für junges Publikum und Familien, zum Beispiel das beliebte Big Bang Festival, sowie ein reichhaltiges Musikprogramm eingebettet.

Bewegte Programmpräsentation / Hofesh Shechter: “Theatre of Dreams” am 16. Mai 2025 im Festspielhaus St. Pölten

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