Als „Die Unbekannte aus der Seine“ von Hanna Berger 1995 wieder auf der Bühne zu sehen war, fragte man sich, warum diese Künstlerin mit ihrer einfachen, klar strukturierten "Tanzschrift" in der Chronik des freien Tanzes nicht einen zentralen Platz einnimmt. Hätten nicht eine Handvoll engagierter TanzhistorikerInnen und TänzerInnen diese Rekonstruktion realisiert, wäre diese talentierte Choreografin wohl eine Fußnote der Tanzgeschichte geblieben.
Seither ist Andrea Amort der Tänzerin auf der Spur, ist ihrem Werk mit österreichischen ChoreografInnen künstlerisch nachgegangen und hat sie nun mit dem Buch "Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand" endgültig dem Vergessen entrissen.
Das Buch beschreibt eine Frau, die zwar immer wieder Anerkennung fand, aber es nicht schaffte, sich in ihrer Kunst einen nachhaltigen Namen zu machen. Die NS-Zeit, die politische Überzeugung der Kommunistin Hanna Berger sowie persönliche Animositäten haben das verhindert.
Die fruchtbarsten Jahre der 1910 geborenen Tänzerin fielen in die Zeit des Nationalsozialismus, in der sie jedoch Engagements ablehnte, die sie in die Nähe des verhassten Regimes brachten. Nach dem Krieg war ihre Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei ebenfalls hinderlich beim Aufbau einer Karriere. Auch ihre Lehrtätigkeit an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst seit 1945 wurde beendet, als Rosalia Chladek 1952 die Leitung der Tanzabteilung übernahm.
Berger opferte ihre Werte nicht für ihr berufliches Weiterkommen und war nur bedingt bereit, Kompromisse einzugehen. Ein komfortables Leben im Wohlstand war ihr damit verwehrt. 1962 starb sie in Ost-Berlin an den Folgen einer Gehirntumor-Operation.
Andrea Amort zeichnet die Lebensstationen Hanna Bergers akribisch genau nach, sofern das anhand der verfügbaren Daten möglich ist. Die Autorin scheute jedenfalls keine Mühe, das nur fragmentarisch durch Archivmaterial gesicherte oder durch Aussagen von Zeitzeugen erinnerte Leben und Werk der Künstlerin zu einer Einheit zusammenzufügen. Als LeserIn folgt man ihrer Spurensuche in den unterschiedlichen Quellen, ihren Abwägungen bei widersprüchlichen Aussagen, ihren hartnäckigen Versuchen trotz aller Lücken die Fragmente zu verdichten und die Wahrheit zu finden. Die Tänzerin, deren Lebensweg immer wieder durch Krankheiten, durch politische Widrigkeiten bis zum Gefängnis und durch persönliche Kränkungen gezeichnet ist, besticht durch Intelligenz und Durchblick wie eine Reihe von Texten der Künstlerin belegen.
Nicht minder aufwändig dürfte die Suche nach dem Bildmaterial gewesen sein, die sich in dem liebevoll gestalteten, reich bebilderten Band finden. Durch die höchst ästhetischen schwarz-weiß-Fotografien von zum Teil namhaften Fotografen wird dieses Buch auch zu einer sinnlichen Entdeckungsreise einer außergewöhnlich schönen Frau.
Andrea Amort: "Hanna Berger. Spurensuche einer Tänzerin im Widerstand"
Herausgegeben vom Deutschen Tanzarchiv Köln
Christian Brandstätter Verlag Wien, 2010
ISBN-13: 978-850331883
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