Theater, Zirkus und Varieté bilden einen wesentlichen Themenkomplex im Werk des Malers Max Beckmann. Den Begriff des Welttheaters, die barocke Sichtweise des Lebens als Bühnenspiel, hat er immer wieder und vielfältig für die Moderne aktualisiert. In einem Katalog des Prestel Verlags wurde die Affinität Beckmanns zur darstellenden Kunst nun erstmals uneingeschränkt in den Fokus gerückt. „Max Beckmann – Welttheater“ heißt der zur gleichnamigen Ausstellung (Bremen, Potsdam) erschienene, sehr empfehlenswerte Band.
Max Beckmanns (1884-1950) Passion für die Unterhaltungskunst prägt sein gesamtes Werk. Schauspiel, Akrobatik und Tanz fungieren in seinem Oeuvre als Metaphern für menschliche Beziehungen und das politische Weltgeschehen. Der Mensch wird verstanden als Interpret verschiedener Rollen, das Leben als Bühnenstück. Selbst während der Kriegsjahre und im Amsterdamer Exil besuchte Beckmann Zirkusvorstellungen und Varietés. Er war mit Schauspielern befreundet, kannte Tänzer und Artisten. Manche von ihnen porträtierte er. Den Schauspieler Heinrich George , die Tänzerin Sent M`Ahesa sowie, in kräftigblauem Trikot, Nikolai Michailowitsch Zeretelli, einen der Protagonisten des Moskauer Kammertheaters.
Um den Akt der Verwandlung, den Moment des Einstiegs in eine Rolle zu beobachten und in Bildern wie dem 1946 entstandenen Gemälde „Schauspielerinnen“ festzuhalten, hielt sich Beckmann gern hinter den Kulissen auf. In vielen Selbstporträts wurde auch er zum Darsteller des Welttheaters, zum Artisten und Pierrot. „Wir alle sind Seiltänzer!“, so betonte er. Dennoch blieb für Beckmann die Zeit, die er als stiller Beobachter in Bars, im Theater, Zirkus oder Varieté verbrachte, von zentraler Bedeutung. Der distanzierte Blick war für ihn, wie Verena Borgmann in ihrem Beitrag zur Rolle des Zuschauers zeigen kann, von fast existentiellem Wert. In einem Brief an seine erste Ehefrau, Minna Beckmann-Tube, beschreibt der Maler 1915 entsprechend einen Besuch im Berliner Café Rubens, in dem ausgelassen und wild getanzt wurde: „Es war entzückend, ich zeichnete so lange, bis es mich schließlich nicht mehr hielt und ich auch mit tanzte. Dann zeichnete ich wieder.“
Natürlich findet sich das Motiv des Theaters auch bei anderen bildenden Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts. Degas, Toulouse-Lautrec, Matisse, Nolde, Kirchner, Pechstein - auch sie (und viele weitere Maler) haben ihr Interesse und ihre Begeisterung für die Bühne, für Tanz und Varieté bildnerisch umgesetzt. Das Besondere an Beckmanns Beschäftigung mit den darstellenden Ausdrucksformen aber ist, dass der Maler in vielen Werken nicht nur inhaltlich, sondern auch formal an die Welt der Bühne anknüpft. In ihrem Aufsatz über den Künstler als Theaterdirektor, Regisseur und Kulissenschieber erläutert Eva Fischer-Hausdorf diese Parallele auf anschauliche Weise. Vor allem die komplexen Kompositionen der berühmten Triptychen reflektieren zeitgenössische Bühnenkonzepte: den Zirkus mit seinen variablen Spielebenen, aber auch Avantgardeformen wie Erwin Piscators Simultantheater. Selbst die für Beckmann typische Thematisierung einer Zurschaustellung als Prinzip der Malerei findet ihre Entsprechung im Formalen. Ortrud Westheider erläutert in ihrem Beitrag die bildnerischen Strategien des Ostentativen in Beckmanns Dramaturgie.
Ergänzt durch zahlreiche Werke aus internationalen Museumssammlungen stammt ein Großteil der im Katalog vorgestellten Exponate aus den Beständen der Kunsthalle Bremen. Unter den rund 150 Abbildungen sind bekannte Gemälde wie einige Selbstbildnisse und Triptychen, aber auch nicht so oft gezeigte Arbeiten, so zum Beispiel die wunderbaren Skulpturen „Tänzerin (Spagat)“ (1935) und „Brücke“ (1950). Wie vielschichtig und wesentlich das Theatermotiv in Beckmanns Schaffen positioniert ist, spiegelt sich dabei jedoch nicht nur im Bildmaterial, sondern auch in den durchweg fundierten Aufsätzen des Katalogs. Hier geht es um verschiedene Sichtweisen auf Beckmanns Welttheater. Diskutiert werden u.a. Beckmanns eigene Dramen, seine Skizzenbücher, die Triptychen und Parallelen zur Literatur. Thematisch bleiben die Beiträge eng beieinander, doch sind sie kunsthistorisch anspruchsvoll und in der Bildbetrachtung genau formuliert. Beckmanns Verwendung des Theatermotivs wird in verschiedene Kontexte eingeordnet und ermöglicht so einen genauen und spannenden Blick auf ein großartiges Werk.
„Max Beckmann. Welttheater.“ Herausgegeben von der Kunsthalle Bremen, dem Kunstverein in Bremen und dem Museum Barberini, Potsdam. Prestel Verlag München, London, New York 2017
Die gleichnamige Ausstellung ist noch bis zum 10. Juni 2018 im Museum Barberini, Potsdam zu sehen. (Zuvor, vom 30.9.17-4.2.18 war sie in der Kunsthalle Bremen)
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