Biografisches Lesevergnügen. Anlässlich seines 70. Geburtstags ist im Henschel-Verlag die Biografie der „Ballettlegende“ (Focus) Egon Madsen erschienen. Autorin Dagmar Ellen Fischer porträtriert den Tänzer in einem ansprechenden Buch und trifft dabei von Anfang an den richtigen Ton. Schon nach den ersten Seiten ist man mitten drin im Leben dieses sympathischen Dänen, der seinen ungewöhnlichen Werdegang uneitel und mit köstlichen Anekdoten erzählt.
Irgendwie ist ihm alles im Leben fast zufällig „passiert“: Zum Beispiel, dass Freunde seiner Eltern auf das Bewegungstalent Egon aufmerksam wurden und gleich per Branchenverzeichnis eine Ballettschule in Aarhus, dem Wohnsitz der Familie, suchten. Die Auswahl erwies sich für den Sprössling als goldrichtig, war die Schule von Thea Jolles doch auch Sitz des „Dänischen Kinderballetts“, das nicht nur in Dänemark, sondern auch in Deutschland, Österreich und Skandinavien erfolgreich auf Tournee ging. Kritiken bezeugen, dass Jolles sehr kindgerecht gearbeitet, und nicht dressierte kleine Erwachsene vorgeführt hat, wie das bei Kinderballetttruppen jener Zeit öfter der Fall war. Jedenfalls fiel Egon dort bereits auf – als Talent und als Vieltänzer.
Mit seiner selbstbewussten Art vermasselte sich Egon wohl die Aufnahme in die Akademie des Königlich Dänischen Balletts, als er die für ihn unangenehme Untersuchung beim Arzt mit einer adäquaten Bemerkung quittierte. Nach Kopenhagen ging der junge Madsen dann dennoch. Nach der Schulzeit und einigen Versuchen in anderen Berufen wurde er vom Tivoli Pantomimentheater engagiert – auf Initiative einer Darstellerin, die Egon vom Dänischen Kinderballett kannte.
Dort entwickelte Madsen seine schauspielerischen Fähigkeiten, die ihn später als Tänzer so einzigartig werden ließen. Wenn das Pantomimentheater im Winter geschlossen hatte, arbeitete Egon beim Skandinavischen Ballett. Außerdem nahm er weiterhin Unterricht in klassischem Tanz bei den besten DozentInnen der Stadt.
Auch der nächste, und wichtigste Schritt seiner Karriere, erfolgte quasi schicksalsbedingt über eine lettische Vernetzung. Die erfahrene Ballettpädagogin Edith Frandsen aus Lettland hörte von einem lettischen Kollegen von einer neuen Ballettcompagnie in Stuttgart. Diese suche noch dringend junge Tänzer und Frandsen ermutigte Madsen, sich zu bewerben. Nach einem kurzen Briefwechsel mit John Cranko – der damals noch weitgehend unbekannt war – war der gerade mal 19-Jährige engagiert, begab sich auf die Reise gen Süden und wurde zu einem der vier ProtagonistInnen (neben Madsen waren das Marcia Haydée, Birgit Keil und Richard Cragun) des „Stuttgarter Ballettwunders“. John Cranko schuf zahlreiche Werke für ihn, die heute Klassiker sind. Nach dessen Tod war er Inspiration für Nachfolger Glen Tetley, mit Kenneth MacMillan, Uwe Scholz, Jiri Kylián und John Neumeier verband ihn eine lange künstlerische Zusammenarbeit.
Natürlich gibt es auch ein Privatleben. Das schien bei Egon eher kompliziert zu verlaufen, bevor sich 1978 die platonische Beziehung zur seiner Kollegin Lucia Isenring – „die einzige Frau sei, die ihn ernsthaft interessiere“ – wandelte. Zwei Jahre später wurde geheiratet, 1981 kam Sohn Flurin Borg Madsen zur Welt – und Egon begann einen neuen Lebensabschnitt: als Ballettdirektor ging er zuerst nach Frankfurt, dann nach Stockholm und schließlich nach Florenz. 1990 kehrte er als Ballettmeister nach Stuttgart zurück, wurde Stellvertretender Direktor von Marcia Haydée und war auf der Bühne in spezifischen Rollen zu sehen.
Sechs Jahre später, als Reid Anderson Ballettchef in Stuttgart wurde (und es bis heute ist), erhielt Madsen die Kündigung. Daraufhin holte ihn Uwe Scholz als Ballettmeister nach Leipzig. 1998 lockte ihn jedoch Jiri Kylián mit dem NDT III wieder auf die Bühne, wo er für den erkrankten Gérard Lemaitre einsprang – und blieb, um auch die künstlerische Leitung der Compagnie zu übernehmen. Als 2006 das NDT III (unbegreiflicherweise) aufgelöst wurde, kam auf Madsen schon die nächste Herausforderung zu. Eric Gauthier, Erster Solist beim Stuttgarter Ballett, hatte mit 30 Jahren beschlossen, die Compagnie zu verlassen und sich auf eigene Beine zu stellen. Das erste Stück in der Selbstständigkeit sollte ein Duett von Christian Spuck für ihn und Egon Madsen werden: „Don Q. – eine nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“. Der ungeheure Erfolg dieser Revue, führte zur Gründung der Gauthier Dance Company am Theaterhaus Stuttgart, wo auch „Don Q.“ uraufgeführt worden war. Madsen war von Anfang an am Aufbau der Truppe beteiligt und ist dort bis heute als Lehrer, Coach und Gasttänzer tätig.
Madsens Karrierestationen werden im Buch von Dagmar Ellen Fischer ausführlich und anschaulich erläutert und visuell mit sorgfältig ausgewähltem Fotomaterial ergänzt. Man kann das Buch wie einen Roman lesen, aber auch als Nachschlagwerk verwenden – denn die Autorin nimmt in jedem Kapitel auf Zusammenhänge bedacht, die vielleicht an anderer Stellen schon erläutert worden waren. Das aber tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, sondern hilft eher der Erinnerung auf die Sprünge. Das Buch ist daher auch für jene geeignet, die keine Ballettexperten sind und doch Lust haben, eine Tänzerbiografie zu lesen oder mehr über die Geschichte des Stuttgarter Balletts zu erfahren, mit dem Egon Madsens Leben ist aufs Engste verbunden ist.
Seit 2007 lebt er mit seiner Frau Lucia (die ihrem Mann mit dem gemeinsamen Sohn auf den meisten seiner Stationen gefolgt ist) zwar in der Toscana, aber sehr oft reist er auch nach Stuttgart, um seiner neuen Aufgabe mit Gauthier Dance (und kürzlich auch wieder mit dem Stuttgarter Ballett als Hexe Madge in „La Sylphide“) nachzukommen.
Ans Aufhören denkt er jedenfalls nicht. Er wird weitermachen, solange es spannend bleibt. Denn, so Madsen: „Ein Künstler darf nicht in Routine fallen, das wäre der Tod seiner Kunst.“ Seinen Kollegen und dem Publikum wird Egon Madsen daher hoffentlich noch lange so erhalten bleiben, wie sie ihn bei seiner Geburtstagsgala erleben durften.
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