„Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Ich bin so ehrlich und gebe gerne zu, dass ich in den ersten sieben Jahrzehnten meines Lebens von Ludwig Wittgensteins (1889-1951) Philosophie nur ungefähr 20 Prozent verstanden habe.
Allerdings hat er mit seinem meistzitierten Sager sicher nicht ganz Recht. Freilich, würde man interpretieren, dass man im Fall von Unverstand sein Mundwerk außer Betrieb nehmen sollte, dann möchte man Herrn W. wohl gerne zustimmen.
Dass aber Worte die Grenzen unserer Ausdrucksfähigkeit setzen, stimmt nicht. In der Kommunikationswissenschaft wird einem weit verbreiteten Mythos folgend noch immer gelehrt, dass gar nur sieben Prozent der Kommunikation verbal stattfänden, was nicht nur ich bezweifle. Allerdings gehen wir davon aus, dass doch der allergrößte Teil unseres Ausdrucks nonverbal stattfindet.
Womit man gar keine große Kurve kratzen muss, um beim Tanz zu landen. Schon um 1900 haben vor allem Praktiker*innen des Tanzes festgestellt, dass sehr verhaltene und verschlossene Menschen gerade im Ausdruckstanz Schleusen der Gefühle, Erinnerungen, Ängste und Hoffnungen öffnen, die im Gesprächsmodus absolut versperrt geblieben wären.
Pionierinnen wie Gerda Alexander, Irmgard Bartenieff, Mary Whitehouse und viele andere erlebten dies und fanden (oder erahnten) die Nahtstellen zu Psychologie und Psychotherapie. Selbst so manche Depression verblasste dank tänzerischer Aktivität.
Viele Tanz-Anfänger*innen machen die verstörende Erfahrung, in ihren ersten Bewegungsaktivitäten in hohem Maße gerührt, ja „angerührt“ zu werden oder gar in Tränen auszubrechen. Verstörend ja, aber in weiterer Folge auch sehr befreiend. Der Damm nicht in Worte kleidbarer Gefühle ist gebrochen.
Also, Herr Wittgenstein: Darf ich bitten!
Wenn Sie mir schreiben möchten, bitte, sehr gerne:
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