Es dürfte wohl ein erleichtertes Aufatmen in Österreichs Theatern gegeben haben, als die Regierung gestern keine neuen Corona-Einschränkungen verkündete. Damit steht die Ampel für die Öffnung der Häuser erst einmal auf grün. Wie es gehen kann, die Besucher vor Ansteckung zu schützen, haben im Sommer die Salzburger Festspiele bereits erfolgreich vorgemacht. Das Konzept wird nun in den jeweiligen Bundes- und Landestheatern adaptiert.
Mit einem Mix aus Produktionen, die in der letzten Saison sozusagen „übrig“ geblieben sind, und neuen Projekten gestalten die österreichischen Landestheater die Spielzeit 2020/21. Das gilt auch für die Tanzsparte, die mit jeweils drei bis vier Premieren den Spielplan in Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg mitbestimmt. In St. Pölten bietet das Festspielhaus auch in Corona-Zeiten ein Programm, das seinen Ruf als Österreichs größtes Tanzhaus bestätigt. In Wien gibt es beim Wiener Staatsballett bekanntlich einen Neustart, aber auch John Neumeier wird in dieser Spielzeit wieder präsent sein. In Zeiten wie diesen muss es gesagt werden: hoffentlich klappt alles wie geplant!
Festspielhaus St. Pölten
Auch das Festspielhaus St. Pölten konnte eine abgesagte Produktion „hinüberretten“: Doris Uhlichs „Everybody Electric“ wird nun am 21. Oktober zu sehen sein. Eröffnet wird die Saison aber bereits am 26. September mit der märchenhaften Musical-Produktion „Das Dschungelbuch“ in der Inszenierung von Robert Wilson mit der US-amerikanischen Indie-Band Cocorosie. Die erste geplante „richtige“ Tanzproduktion, Pina Bausch´ „Das Frühlingsopfer“ mit afrikanischen Tänzern, musste verschoben werden. Dafür kommt am 24. Oktober das Aterballetto mit Johan Ingers „Don Juan“, kurz nach dessen Premiere am 9. Oktober in Ferrara.
Am 21. und 22. November steht „Schwanensee“ in der Choreografie von Angelin Preljocaj mit dem Tonkünstlerorchester auf dem Spielplan, das Anfang Oktober in Frankreich Premiere haben wird. Auch die Produktion „Marie-Antoinette“ mit dem Malandain Ballet Biarritz wird vom Residenzorchester des Hauses begleitet. Das Schicksal der Tochter Maria Theresias und Königin von Frankreich hat Thierry Malandain zur Musik von Joseph Haydn und Christoph Willibald Gluck choreografisch abgehandelt.
Ein Wiedersehen gibt es mit dem Jungendensemble Groupe Grenade von Josette Baïz (5. Dezember). In „D’Est en Ouest, de Melbourne à Vancouver“ werden Ausschnitte aus Arbeiten hochkarätiger ChoreografInnen wie Crystal Pite (Kanada), Wim Vandekeybus (Belgien), Lucy Guerin (Australien), Barak Marshall (Israel) sowie des anglo-bengalischen Choreografen Akram Khan und der Südkoreanerin Eun-Me Ahn präsentiert.Auch mit ihrer Compagnie kommt Eun-Me Ahn ins Festspielhaus zurück: „Dragon“ ist am 29. Jänner zu sehen.
Zum ersten Mal kommt hingegen das Béjart Ballet Lausanne mit Werken des verstorbenen Großmeisters (darunter Ravels „Boléro“) sowie des derzeitigen Leiters des Ensembles, Gil Roman (der als Tänzer in „Boléro“ Kultstatus erhielt).
Ein „Requiem of Ravel‘s Bolero“ hat der Südafrikaner Gregory Maqoma mit seinem Vuyani Dance Theatre als ein brisante und aufwühlendes tänzerisch-musikalisches Statement inszeniert, das die Saison im Festspielhaus am 28. Mai beenden wird. Davor wird das bereits für Juni 2020 geplante Community Dance Projekt „Le Grand Continental. Alle tanzen“ von Silvain Émard nachgeholt.
Im Rahmen des Familienabos sind heuer wieder eine Reihe von Produktionen des Cirque nouveau im Programm, etwa zwei Produktionen der hinreißenden australischen Gruppe Gravity & Other Myths oder das Art Move Concept aus Frankreich. Ludwig van Beethoven wird im Jubiläumsjahr zweimal gefeiert: In „Neun“ setzt sich die kanadische Gruppe Cas Public mit Sinneswahrnehmungen auseinander und erkundet spielerisch die 9. Symphonie des Komponisten (28. Februar). „Ludwig van tanzt“ selbst in der Choreografie von Michael Kropf für das Ballett der Bühne Baden und das St. Pöltner Europaballett am 18. Dezember.
Es gehe im Theater auch um Begegnung und Austausch und so habe man den Verzicht darauf schmerzhaft erfahren müssen. Mit umso größerer Leidenschaft präsentierte Nora Schmid, Intendantin des Grazer Opernhauses, ihr umfangreiches Programm der Saison 2020/21 Ende Juni „corona-abstandsbedingt“ in der Montagehalle – mit Zuversicht.
Beim Tanz werde es märchenhaft werden. Und mit entsprechend strahlender Energie fügte Ballettdirektorin Beate Vollack hinzu: ... so tanzen sie auch noch heute. Als Einstieg in die traumhafte Theater-Realität ist die Wiederaufnahme ihrer Choreografie von Sergej Prokofjews „Cinderella“ ab 20. September zu sehen (tanz.at-Premierenbericht). Mit „Rotkäppchen“, Premiere 27. November, Choreografie Sascha Pieper, zeigt die Grazer Oper erstmals ein Ballett für Kinder; ein Märchen, das einen „unglaublichen Ballettstoff“ für Junge wie Junggebliebene in sich berge, wie Vollack schwärmt. Der 100. Geburtstag von Astor Piazzolla lässt sie die Herausforderung annehmen, in „Tan(z)Go“ im besonders intimen Rahmen auf der Vorbühne einen atmosphärisch und tänzerisch völlig anderen Tanzabend auf die Beine zu stellen; man darf gespannt sein.
Ab 10. April wird das große Ballett „Undine“ von Hans Werner Henze als Herzstück der Saison zu erleben sein. Traum und Wirklichkeit verzahnen sich hier in einer reichhaltigen Bewegungsweltwelt, die Vollack aus persönlicher Tanzerfahrung kennt und die sie nun in ihrer ureigenen choreographischen Interpretationsweise präsentieren will. Als hoffnungsvollen Saisonabschluss wird am 20. Mai die Premiere von Jo Strømgrens „Zum Sterben zu schön“ gezeigt. Angesetzt war sie bereits für 2019/2020 und soll jetzt das inhaltliche Leitmotiv für die gesamte Saison darstellen.
Das bewährte, informative ABC des Tanzes sowie die Reihe Tanz ganz nah wird ebenso weiterhin angeboten wie die Möglichkeit der Teilnahme an Offene Klasse. (Eveline Koberg)
Die Tanzsaison wird in Linz am 26. September mit der Uraufführung „Bilder einer Ausstellung“ von Mei Hong Lin zur Musik von Modest Mussorgski eröffnet. Die Vorjahresproduktion „Cinderella“, die coronabedingt nur wenige Male gespielt werden konnte, wird am 22. Oktober wieder aufgenommen. Ebenfalls nachgeholt wird „Credo“ in der Choreografie von Urs Dietrich, das nun am 14. Mai Premiere hat.
Lediglich vier Vorstellungen gab es in der letzten Spielzeit von „Romeo und Julia“. Nun wurde die Saison 2020/21 am 3. September mit eben dieser Choreografie von Ballettdirektor Reginaldo Oliveira eröffnet, ein Abend quasi als Testlauf für die Corona-Maßnahmen, für den ausschließlich kostenlose Zählkarten unter anderem an die Bediensteten der Landeskliniken – als Danke für deren Einsatz in der Gesundheitskrise – vergeben wurden. Weitere „reguläre“ Aufführungen finden am 13. und 23. September statt.
Am 18. Oktober hat die für den Frühsommer geplante Premiere von „Tanto…Tango!“ Premiere, eine Ko-Choreografie von OIiveira mit Flavio Salamanka. Der außergewöhnliche Solist des Salzburger Ensembles ist in Salzburg bereits als Choreograf in „Mozart Moves“ und „Der kleine Prinz“ in Erscheinung getreten. Nun setzt er ganz auf den Tanz der Erotik, der Melancholie und der Leidenschaft.
Eine Fortsetzung der Reihe „Mozart Moves!“ in Kooperation mit der Stiftung Mozarteum gibt es am 24. und 29. Jänner: Das Ballettensemble steht in Choreografien ihres Chefs gemeinsam mit der Mezzosopranistin Magdalena Kozená in „Ewig dein dich Liebender“ im Rahmen der Mozartwoche 2021 auf der Bühne.
Reginaldo Oliveira ist auch wieder Ko-Regisseur von Intendant Carl Philip von Maldeghem und der Ausstatterin Stefanie Seitz bei der Inszenierung des Theatermarathon „Mysterien. Ein Salzburger großes Welttheater“ (Premiere am 16. April 2021). Das Team hatte bereits im Herbst 2017 das Großprojekt „Dionysien – Theater. Spektakel. Rausch“ realisiert. Nach dem Vorbild des „Salzburger großen Welttheater“ von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929), das 1922 in der Salzburger Kollegienkirche in der Regie von Max Reinhardt zur Uraufführung kam, lebt die Tradition der mittelalterlichen Mysterienspiele unter neuen Vorzeichen im Salzburger Landestheater auf.
Am 1. Mai 2021 setzt Salzburgs umtriebiger Ballettchef Leo Tolstois „Anna Karenina“ in Szene. Und am 19. Juni laden Peter Breuer und Reginaldo Oliveira zur Internationalen Ballettgala, die mittlerweile ein Fixpunkt im Salzburger Tanzjahr geworden ist.
www.salzburger-landestheater.at
Der Tanzherbst in Innsbruck steht im Zeichen von Wiederaufnahmen der vergangenen Spielzeit: Marie Stockhausens „Wolfgang Amadeus“ (ab 7. Oktober in den Kammerspielen) und „Die Große Nacht des Tanzes“ mit Choreografien von Nacho Duato, Jiří Kylián und Mauro Bigonzetti (ab 24. Oktober im Großen Haus). Am 18. Dezember hat „Terra Baixa“ von Ballettchef Enrique Gasa Valga nach dem gleichnamigen Theaterstück von Àngel Guimerà in den Kammerspielen Premiere. Am 27. Februar kommt seine Sicht auf Romy Schneider auf die Bühne im Großen Haus. Am 18. April wird der Assistent der Ballettdirektion Filip Veverka „Cyrano de Bergerac“ in den Kammerspielen tänzerisch umsetzen. An die 60 Vorstellungen zeugen vom Stellenwert, den sich die Sparte Tanz mittlerweile in Innsbruck erobert hat.
Das Wiener Staatsballett steht mit der Direktion Martin Schläpfer vor einem Neustart (tanz.at berichtete). Im Herbst greift man erst einmal auf das bestehende Repertoire zurück: „Peter Pan“, die Erfolgsproduktion von Vesna Orlic, ist am 4., 5., 10. und 14. September an der Volksoper, und George Balanchines „Jewels“ sind in der Staatsoper von 24. September bis 1. November noch zehn Mal zu sehen. Die erste Premiere dieser Saison, „Hollands Meister“, findet am 20. September in der Volksoper statt. Mit „Mahler“ stellt sich der neue Ballettchef am 24. November erstmals im Haus am Ring als Choreograf vor.
Das Hamburg Ballett bringt „An die Freude“ ins Theater an der Wien. John Neumeiers tänzerische Umsetzung der zur Europäischen Hymne avancierten 9. Symphonie Beethovens hat kurz vor dessen 250. Geburtstag am 16. Dezember 2020 ihre Uraufführung in Hamburg. In Wien ist das Ballett zum Abschluss der Spielzeit von 5. bis 7. Mai 2021 zu sehen.