Zum 8. Mal endete die Saison des Wiener Staatsballetts mit einer „Nurejew Gala“. Diesmal galt es darüberhinaus den 80. Geburtstag des Namensgebers sowie den 200. Jahrestag von Marius Petipa zu feiern. Dementsprechend opulent gestaltete Manuel Legris die Aufführung, bei dem neben den Wiener TänzerInnen und erlesenen Gästen auch der Ballettchef höchstpersönlich wieder mitwirkte, der an diesem Abend besonders geehrt wurde.
Die Rosinen aus diesem vierstündigen Programm herauszupicken, wird dieser „Nurejew Gala“ wohl nicht gerecht. Denn das Wiener Ensemble glänzte durchwegs, sei es in Ausschnitten aus dem klassischen Repertoire, in neoklassischen Stücken oder in den neuesten choreografischen Schöpfungen der Ensemblemitglieder Eno Peci („Opus 25“ war erstmals in Wien zu sehen) und András Lukacs („Movements to Stravinsky“).
Wie gewohnt wurden die einzelnen Beiträge in Kurzvideos von Balázs Delbó vorgestellt, die nicht nur informativ, sondern auch ein raffinierter musikdramaturgischer Griff sind, da sie doch als eine Art „Atempause“ zwischen der Abfolge von unterschiedlichen Musikstilen fungieren.
In diesem Jahre wurde vorwiegend auf Werke des Repertoires zurückgegriffen und das Programm war in weiten Teilen bereits auf der Japan-Tournee des Wiener Staatsballetts im Mai dieses Jahres erprobt worden. Vielleicht hat man ja aus der Erfahrung gelernt. Einer der zahlreichen emotionalen Momente des Abends war jedenfalls das Wiedersehen mit Davide Dato, der sich in der Gala 2017 so schwer verletzt hatte, dass er ein Jahr aussetzen musste. So konnte er nicht, wie ursprünglich geplant, die Titelrolle bei der Premiere von „Peer Gynt“ von Edward Clug übernehmen. Nun tanzte er daraus einen Pas de deux mit Nina Poláková als Solveig.
Balanchines „Valse Fantaisie“ gab als Eröffnungsstück die Stimmung vor, bei dem erstmals Natascha Mair und Jakob Feyferlik die Leichtfüßigkeit des Glinka-Walzers verkörperten. Aus dem Wiener Ensemble stach besonders Masayu Kimoto hervor, erst in einem Solo aus „Le Pavillon d’Armide“, später in einer Variation aus „Schwanensee“. Mit einer präzisen Technik, einem schönen Ballon und einer natürlichen Ausstrahlung ist er nicht nur im modernen Fach zu Hause, sondern hat sich in den letzten Jahren auch die großen Rollen überzeugend „ertanzt“.
Highlights lieferte auch Mihail Sosnovschi mit seinem Charisma und seiner technischen Brillanz: Im Pas de deux aus der Petipa-Choreografie „Satanella“ etwa, wo er seiner Partnerin Kiyoka Hashimoto eine bisher unbekannte, kokett-spielerische Seite entlockte. Oder als Sarazenischer Fürst Abderachman („Raymonda“), den er zwar sehr viril jedoch nicht überzogen aggressiv verkörperte. Dass er den Sprung zum Ersten Solisten auch diesmal nicht geschafft hat, bleibt ein Rätsel (siehe weiter unten).
Ein Abend großer TänzerInnen
Neue Werke brachten die Gäste an diesem Abend mit: Olga Smirnova und Semyon Chudin (die zuletzt in „Giselle“ in Wien zu sehen waren) tanzten ein verspielt-amouröse Duo aus „The Taming of the Shrew“ von Jean-Christophe Maillot. Das eingespielte Paare übermittelt eine berührende Vertrautheit, die die Herzensgesten mit Leben füllt. Edel agierten die beiden später als „Diamonds“ in Balanchines „Jewels“.
„Marguerite and Armand“, seit dieser Saison im Repertoire des Wiener Staatsballetts, war mit Marianela Nuñez und Vadim Muntagirov besetzt. Die Principal Dancers des Royal Ballet wissen mit der etwas sperrigen Ashton-Choreografie bestens umzugehen und ihren subtilen, emotionalen Gehalt wunderbar herauszuschälen. Denn im Gegensatz etwa zu Eifmans „schreiender“ Expressivität – die in „Giselle Rouge“ von Ketevan Papava und Eno Peci interpretiert wurde – setzte Ashton auf englisches Understatement.
Und so schlüpft Muntagirov in die Rolle des Armand mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie es wohl Nurejew getan hat. Und siehe da, plötzlich ist der forsche und selbstbewusste Auftritt, mit dem Armand auf der Party des Fürsten erscheint und dessen Geliebte entführt, völlig logisch. Der Altersunterschied beträgt zwar nur acht Jahre, doch spielt Marianela Nuñez in dieser Rolle ihre künstlerische Reife voll aus. Sie verkörpert die Rolle der Marguerite in Anlehnung an Margot Fonteyn mit liebevoller Hingabe und großer Verletzlichkeit. Dem Charme dieser Frau kann sich auch Armands Vater (sehr ausdrucksstark: Roman Lazik) nicht entziehen, der seine Intervention, die das Paar auseinander brachte, zutiefst zu bereuen scheint. Der Fürst hingegen (Alexis Forabosco) scheint schlichtweg sprachlos angesichts dieser hemmungslosen Liebe.
Französischen Esprit versprühten hingegen Manuel Legris und Isabelle Guérin in „Le Rendez-vous“ von Roland Petit aus dem Jahr 1945. Die ehemaligen Étoiles der Pariser Oper sind und bleiben wohl eine Klasse für sich. Souverän wird hier die bitterböse Geschichte eines Gattenmordes dargestellt, deren Choreografie durchaus noch fordernde Hebungen beinhaltet. Die Musik von Joseph Kosma wurde später übrigens als das von Yves Montand gesungene Chanson „Les feuilles mortes“ weltberühmt.
Ein weiteres Beispiel für die Intensität reiferer Tänzer lieferten Alexandre Riabko und Ivan Urban mit John Neumeiers Stück „Opus 100“ über eine Männerfreundschaft. Der Hamburger Ballettchef kreierte seine 100. Choreografie als Geburtstagsgeschenk zum 70er von Maurice Béjart (1996) und verpackte darin eine Reihe von Referenzen auf das Werk des Ballett-Erneuerers.
Mit „Nurejew Celebration“, einem launigen Mix mit Szenen aus „Raymonda“ und „Schwanensee“, endete der reichhaltige Tanzreigen des Abends. Fast.
Ein Abend der Anerkennungen und Auszeichnungen
Denn im Anschluss an die Gala wurde Manuel Legris auf offener Bühne zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt. Als erster Vertreter der Sparte Ballett bekam er auch den Ehrenring überreicht. Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat mit der Bestellung des Pariser Etoile 2009 ein goldenes Händchen bewiesen und betonte in seiner Laudatio, dass es nun zweifelsfrei bewiesen sei, dass Wien eine Ballettstadt ist (was Staatsoperndirektoren vor ihm noch vehement in Abrede gestellt hatten). Unumstritten ist, dass Manuel Legris eine entscheidende Wende vollbracht hat – und das hat auch diese Nurejew Gala wieder gezeigt: Beim Wiener Staatsballett tanzen nicht nur spannende (Erste) SolistInnen, auch das Corps de ballet hat zu formvollendeter Harmonie gefunden.
Ein weiteres Verdienst der Ära Meyer/Legris ist, dass auch bei Ballettaufführungen immer nur Erstklassiges aus dem Orchestergraben zu hören ist. An diesem Abend gab Dirigent Kevin Rhodes den Ton des vielfältigen musikalischen Programms an. Alle Ballett-KorrepetitorInnen waren als KlaviersolistInnen zu hören: Igor Zapravdin, Jiří Novák, Laurene Lisovich und Shino Takizawa, die für ihre Liszt-Interpretation bei „Marguerite and Armand“ eine herzliche Umarmung von Marianela Nuñez erhielt.
Freilich hatte der erfolgreiche Ballettchef auch diesmal Beförderungen zu verkünden: Solisten wurden der aus Ungarn stammende Richard Szabó, seit 2008 Mitglied im Ensemble und der gebürtige Moldawier Dumitru Taran, der 2005 an das Ballett der Wiener Staatsoper und Volksoper engagiert wurde. Drei Tänzerinnen sowie ein Tänzer aus dem Corps de ballet avancierten zu HalbsolistInnen: Die aus Großbritannien stammende Fiona McGee und die US-Amerikanerin Madison Young, beide seit 2017 in der Compagnie sowie die Japanerin Rikako Shibamoto und der Schotte Scott McKenzie, die seit 2016 beim Wiener Staatsballett tanzen.
Anlässlich des 80jährigen Geburtstages von Rudolf Nurejew ist die Dokumentation der Abschluss-Abende seit der Saison 2010/2011 „Impressionen zur Nurejew Gala“ erschienen. Zahlreiche Aufführungsfotos werden mit (Kurz-)Texten von Choreografen sowie mit historische Aufnahmen von Nurejew in Wien ergänzt.
Wiener Staatballett „Nurejew Gala 2018“ am 29. Juni in der Wiener Staatsoper,
„Impressionen zur Nurejew Gala“ ist im e-shop der Wiener Staatsoper erhältlich.